Neustadt Lieder für Herz und Verstand

Wie einst Hannes Wader: Carsten Langner im Saalbau.
Wie einst Hannes Wader: Carsten Langner im Saalbau.

«Neustadt». Viele Besucher des Konzerts von Carsten Langner und Adax Dörsam am Sonntag im Scheffelsaal des Saalbaus haben sich nach Ende der Vorstellung gefragt, ob sie hier an diesem Tag vielleicht die Geburt eines neuen Stars der Liedermacherszene live miterlebt haben. Denn der Eindruck, den Langner bei seinem ersten Neustadt-Auftritt gemeinsam mit dem „alten Hasen“ Adax Dörsam hinterließ, war schlichtweg grandios.

Dabei ist der Sänger, Texter und hervorragende Gitarrist gerade mal 29 Jahre alt, klingt aber, als wäre er schon Mitte der 60er Teilnehmer der berühmten Burg-Waldeck-Festivals gewesen, wo sich einst Künstler wie Franz-Joseph Degenhardt, Hein und Oss oder Schoberth und Black ein Stelldichein gegeben haben. Auch Hannes Wader und Reinhard Mey sind dort aufgetreten, und von ihren Liedern hat sich Langner, wie in Neustadt schnell zu erkennen war, deutlich inspirieren lassen. Aber selbst wenn er stimmlich so rüberkommt, und auch musikalisch gerne zwischen Ballade, Folksong und Talking-Blues hin- und herpendelt – ihn auf einen Mey- oder Wader-Klon reduzieren zu wollen, wäre keinesfalls gerechtfertigt. Langner versteht es einfach gut, die Stärken von Mey und Wader in sein Spiel einzubeziehen und mit seiner eigenen Kreativität zu verbinden. Der Norddeutsche – Wohnort Schönkirchen bei Kiel – singt meist von Alltagserlebnissen, die ihn auf irgendeine Weise berühren. Diese können humorvoller Art sein, Liebeserklärungen an die Natur und das Leben darstellen, nicht zuletzt aber auch politisch aufrütteln. Mit der von ihm ins Deutsche übertragenen Version eines Stückes des englischen Folksängers Steve Tilston, „The Road When I Was Young“, bei Langner „Die Wege, die ich geh’“ geheißen, eröffnete er das Konzert in Neustadt. Der Titel, der auch Opener seines aktuellen, von Dörsam mitproduzierten und mit Gitarrenarbeit veredelten Albums „Von Wegen“ ist, war bereits ein Beleg dafür, wie hervorragend die Zusammenarbeit zwischen ihm und Adax Dörsam verläuft. Während Langner mit einer Stimme, die im Ohr kleben bleibt, von Freiheit, Freundschaft und der Suche nach dem Sinn des Lebens sang, steuerte Dörsam ein Gitarrensolo bei, das dem eines Werner Lämmerhirt durchaus ebenbürtig gewesen wäre. Überhaupt: Lämmerhirt. Der hat ja mit Hannes Wader zusammen Klassiker wie die „Arschkriecher-Ballade“, „Tankerkönig“ oder „Rohr im Wind“ aufgenommen und den Sound der Stücke der heute 75-jährigen Sängers mit seinem prägnanten Fingerstyle-Spiel maßgeblich beeinflusst. Als er 2016 mit 67 Jahren viel zu früh verstarb, ging eine Ära zu Ende. Langner und Dörsam bilden nun ein ähnliches Dream-Team wie einst Wader/Lämmerhirt. Wie der junge Wader outete sich Langner mit „Zeit zu leben“, seiner Interpretation von Georges Moustakis „Le temps de vivre“, zunächst als Anhänger des romantischen Chansons, bevor er mit „Googlediagnostik“ einen Talking-Blues, seiner Erläuterung nach dasselbe wie heutzutage ein Rap, allerdings mit weniger Fäkalwörtern, zum Besten gab. Der Song war an diesem Abend der erste, den er alleine zu Gehör brachte, denn die Show der beiden Musiker, die sich bei einem Festival in Nordrhein-Westfalen kennenlernten und seither erst dreimal zusammen öffentlich gespielt haben, sah vor, dass jeder der Protagonisten auch solistisch zum Einsatz kommen sollte. Dörsam tat dies unter anderem mit „Ich hab’ mein Handy vergessen“ von Joana, seiner langjährigen musikalischen Partnerin, deren Gesang er mit einem Kazoo ersetzte. Später spielte er noch auf einer Charango, deren Resonanzkörper aus dem Panzer eines Gürteltiers hergestellt ist, sowie auf einer selten zu hörenden Harfencister, wobei er jedes Mal seine Klasse als Saitenzauberer unter Beweis stellte. Die schönsten Momente des Konzertabends erlebte das völlig beeindruckte Publikum aber immer dann, wenn die beiden Künstler zusammen musizierten und mit Liedern wie „Wieder am Meer“ oder „Wie ein Schmetterling im Wind“ Bilder vor Augen zauberten, die wohlige Entspannung und poetische Sinnlichkeit vermittelten. Politisch aussagekräftig wurde es schließlich mit „Mein Heimatland“ (mit tollem Gitarrensolo von Dörsam) und „Keine Wahl“. Dieses Stück, das auf eindringliche Weise davor warnt, dem politischen Rechtsruck im Land tatenlos zuzusehen, hat das Zeug dazu, zu einer neuen Liedermacherfan-Hymne zu werden, so wie es noch immer Waders „Heute hier, morgen dort“ ist, das Lied mit dem Langner und Dörsam den offiziellen Teil ihres nachhaltigen Konzerts im Saalbau ausklingen ließen.

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