Neustadt Musikalische Perlen im Regen-Rhythmus

«Neustadt». Es gab wohl kaum jemanden, der sich an diesem Samstagabend im schmuck und wirtlich hergerichteten Innenhof des protestantischen Dekanats zum „Mittsommer“-Programm der Neustadter Stiftskantorei mit seinem spannenden musikalisch-kulinarischen Skandinavien-Exkurs nicht ein durch und durch mediterranes Wetter herbeigesehnt hätte. Doch es kam mit mal tröpfelnden, mal rauschenden Regenattacken und auch ein bisschen Blitz und Donner zwischendurch leider ganz anders.

Dennoch: trotz aller Unbill hielten alle eisern durch, sowohl das Publikum in seiner großen Mehrzahl als auch die Akteure – die Stiftskantorei mit den Solisten Maria Stange (Harfe) und Christopher Jung (Bariton) –, die einen tapfer und solidarisch, die auf dem Podium geradezu trotzig beharrend, wobei alle zusammen allerdings doch kleine Programm-Abstriche in Kauf nehmen mussten. Bezirkskantor Simon Reichert hielt nichts vom Umzug in die Stiftskirche, wollte sein kleines Gesamtkunstwerk aus musikalischen Perlen des schwerblütigen Nordlicht-Zaubers und Gaumenhäppchen aus der Lindgren-Küche (für die Pause) unbedingt open-air im skandinavisch beflaggten Dekanatshof über die Bühne bringen. Sein Optimismus wurde vom Wettergott aber letztlich ignoriert. Absetzbewegungen im Publikum blieben dennoch vereinzelt. Doch damit genug des Wetter-Lamentos. Als exquisit und entdeckungsfreudig erwies sich jedenfalls Simons Reichert prachtvoll arrangierter Programmplot. Im Zentrum, als dessen Herzstück quasi, empfahl sich das hierzulande weitgehend unbekannte mehrteilige geistliche Opus 74, „Fire Salmer“, von Edvard Grieg. In der Originalsprache singend – wie im Übrigen auch bei allen anderen Werken –, entfaltete die Stiftskantorei hier unter Reicherts beredter Zeichengebung einen wunderbar stimmigen, dynamisch fein austarierten und engagiert zupackenden Dialog mit dem Solisten Christopher Jung. Der wiederum profilierte, gemeinsam mit der ihn begleitenden Harfenistin Maria Stange, den Abend trotz schwieriger äußerer Bedingungen zu einem kleinen, feinen Fest des Liedgesangs. Benjamin Brittens Liedtrilogie „The way to the tomb“, von Robert Schumann „An den Mond“, weiter – dann schon im strömenden Regen - mit Schubert, Fauré, Tournier: Christopher Jungs satt gerundeter Bariton, der über ein in dieser Stimmlage selten leuchtendes Tenorregister verfügt, dazu seine ausgefeilt beredte Kunst der Deklamation, der verbindlichen Phrasierung – das alles war purer Hochgenuss. Maria Stange, diesmal unter bergendem Zelt ganz auf die Rolle der Begleitpartnerin begrenzt, traktierte ihre Harfe wie stets elegant, ungemein einfühlsam, mitspürend, dabei denkbar souverän virtuos, beispielsweise bei Brittens vielfarbigem Stimmungsspiel, dem schwermütigen Schu-mann’schen Op. 95 und nicht zuletzt der weichen Melancholie von „Abschied von der Harfe“ aus der Feder von Franz Schubert. Gerne hätte man den beiden länger, konzentrierter, ergebener zugehört. Aufklappende Schirme. Regengeprassel und – herrje – das offenbar schwer zu unterdrückende Bedürfnis im Publikum, sich übers Wetterproblem abendfüllend auszutauschen, ließen ungetrübten Genuss nur bedingt zu. Vom trittsicher einstudierten Skandinavien-Werkkatalog gab die Stiftskantorei dann noch „Sommarnatten“ des Finnen Einojuhani Rautavara zum Besten und ein bisschen etwas vom schwedischen Komponisten Hugo Alfvén, ganz am Ende das auch bei uns beliebte „Zum Tanze, da geht ein Mädel“. Da stand Simon Reichert mit seinen Stiftskantoristen schon richtig im Regen, pitschnass zwar, aber musikalisch unbeugsam. Der Chorgesang behauptete sich flott gemeistert, konzentriert und irgendwie sogar ein bisschen draufgängerisch zwischen dem Pitsch-Patsch-Geprassel. Großer Beifall aus dem Lager der Schirm-Fraktion. Dann aber nix wie unter den schützenden Torbogen zu Smørrebrød und alkoholischen Wärmespendern gegen den Schnupfen von übermorgen.

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