Neustadt Musikalischer Wellenritt über den Pazifik

Musikalische Weltenbummler: Flötist Wolfgang Wendel, Pianistin Ya-Wen Chuang und Cellist Martin Bärenz.
Musikalische Weltenbummler: Flötist Wolfgang Wendel, Pianistin Ya-Wen Chuang und Cellist Martin Bärenz.

«Neustadt». Der sprachlich vielleicht etwas ungelenke Titel „Astor Piazzolla trifft Taiwan“ führte die Erwartungen der Zuhörenden am Mittwochabend im gut besetzten Konzertsaal des GDA-Wohnstifts punktgenau in Richtung „Rarität“. Denn am Ende der intimen Kammermusiksession hatte man einen ungewöhnlichen Konzertabend von geradezu weltläufigem Ausmaß, einen musikalischen Wellenritt quer durch den Pazifik und im Dreigespann der Kontinente Europa, Südamerika und Asien hinter sich. Und fühlte sich beschenkt.

Seit Jahren schon muszieren sie immer wieder gemeinsam: die in Europa in klassischer Manier ausgebildete Pianistin Ya-Wen Chuang, die seit 2004 in ihrer taiwanesischen Heimat als Professorin und gefragte Solistin wirkt; der Cellist Martin Bärenz, Dozent an den Musikhochschulen Mannheim und Heidelberg, vielbeschäftigter Arrangeur und zudem Komponist von Filmmusiken und Kindermusicals; und nicht zuletzt der Ludwigshafener Wolfgang Wendel, der mit seiner Flötenkunst das „Crossover“ in jeglicher Ausprägung weltweit erfolgreich unter die Leute bringt. Man hat gemeinsame Konzert-Tourneen bestritten – in Taiwan, Europa und auch Südamerika. Und die Verknüpfung der stark folkloristisch beeinflussten Kunstmusik aus Taiwan, dem einstigen „Formosa“, der „schönen“ Insel also, mit der musikalischen Sprache des Argentiniers Astor Piazzolla, Erfinder des Tango Nuevo, erwies sich als prachtvoll kompatibel. Denn beides verarbeitet – man staunte vor allem im Blick auf Taiwan nicht schlecht – doch deutlich die Einsprengsel der europäischen Kunstmusik, ebenso wie der Jazz- und Pop-Kultur. Piazzolla, den ausgerechnet Nadia Boulanger, die Grande Dame der konservativen Pariser Orgel-Szene, Mitte des 20. Jahrhunderts, auf großartige Weise wieder auf seine natürliche Provenienz, den Tango in seinem Blut, zurückbeordert hatte, ist ein Solitär im besten Sinn. Sein Zyklus „Las Cuatro Estationes Porteñas“ nimmt explizit Bezug auf die „Vier Jahreszeiten“ von Antonio Vivaldi; greift Motive auf, übt sich in Kontrapunktik und sonstigen stilistischen Mitteln des barocken Vorbilds. Aber eben in der ureigenen expressionistischen Tonsprache seines Schöpfers und vor allem: im steten Tango-Feeling und der ihn durchpulsenden eigentümlichen Melancholie des Ausdrucks. Wie ein roter Faden zog sich diese Satzfolge durchs Programm, musikalisch lupenrein und vor allem aufregend und aufreibend in Szene gesetzt, mit viel Verve und packender musikalischer Eloquenz, emotional differenziert im Flötenton, beschwörend und sanglich im Cello und mit artifiziellem Tastenspiel und einfühlsamem Akkompagnement von Seiten der Pianistin. Zwischen „Frühling“, „Sommer“, „Herbst“ und „Winter“ nun ließen die in Töne gegossenen Stimmen Taiwans aufhorchen: Volksliedbearbeiten zum Teil aus der Feder der Protagonisten, aber auch im Kleid von Vertonungen zeitgenössischer taiwanesischer Komponisten wie etwa des 2015 verstorbenen Ma Shui-Long oder Hsu Sung-Jens, der, wie die Pianistin Ya-Wen Chuang dankbar erwähnte, zu ihren Lehrern zählte. Auch da war trotz der durchaus exotischen Tonfolgen der Einfluss der europäischen Kunstmusik unüberhörbar, waren auch Jazz-Parameter nicht allein im bizarr rhythmischen Geflecht auszumachen. Für die Protagonisten boten sich jedenfalls reichlich Spielwiesen zu virtuoser Entfaltung; Wolfgang Wendel etwa wechselte gleichermaßen eloquent und gestalterisch exquisit zwischen Querflöte, Piccolo und chinesischer Xiao-Flöte, einer Langflöte, die ohne Klappen auskommt, klanglich unserem herkömmlichen Orchesterinstrument aber nicht unähnlich ist. Mit der Zugabe zauberte das Trio nicht nur ein neues Stück, sondern gleich noch zwei neue Mitspieler aus dem Zuschauerraum auf die Bühne. Viviana Bravo (Maultrommel und Gesang) sowie Mauricio Pavez (Gitarre und Gesang), zurzeit auf Deutschland-Tournee und vor wenigen Tagen bereits hochbejubelt in der Martin-Luther-Kirche zu erleben, brachten, begleitet von Klavier und Cello, ein sehr anrührendes Stück chilenischer Anden-Musik zu Gehör. Das ging schlicht unter die Haut. Fazit: ein ungewöhnlicher, ein packender und doch auch wieder sehr intimer Abend. Termin Die Künstler des Abends und ihre chilenischen Freunde sind heute, Freitag, 19.30 Uhr, noch mal live im Weingut Moll, Totenkopfstraße 45, in St. Martin zu erleben.

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