Neustadt Nervenerkrankung: Wie ein Neustadter Betroffenen helfen will

Rollatoren sind ein wichtiges Hilfsmittel, um bei Ausflügen mehr Sicherheit zu haben.
Rollatoren sind ein wichtiges Hilfsmittel, um bei Ausflügen mehr Sicherheit zu haben.

Polyneuropathie heißt die Krankheit, die das Leben des Mußbachers Klaus Römer auf den Kopf gestellt hat. Die Nervenerkrankung schränkt stark ein und ist nicht heilbar. Warum und wie Römer trotzdem anderen Patienten helfen möchte.

Bei Klaus Römer traten erste Symptome vor etwa zehn Jahren auf. Der Mußbacher erzählt offen und mit dem Pfälzer Sinn für Humor von seiner chronischen Nervenerkrankung. Denn er fügt gleich an: „Zunächst war das angenehm: Ich brauchte keine Socken mehr, meine Füße waren nie kalt.“ Trotz des Spaßfaktors nahm der heute 86-Jährige, der für die CDU 20 Jahre im Stadtrat engagiert war, die plötzlichen Symptome ernst. Am Westpfalzklinikum in Kaiserslautern wurde alles abgeklärt. Am Ende stand die Diagnose: Polyneuropathie. Samt der Information, dass diese Störung der Reizweiterleitung der Nerven unheilbar ist. „Das war ein Schock“, bekennt Klaus Römer.

Aber sich aufzugeben, ist so gar nicht sein Ding. Per Zufall kam er bei einer Veranstaltung im Saalbau in Kontakt mit einer Vereinigung von Selbsthilfegruppen. Römer fasste schließlich den Entschluss, aktiv zu werden und gründete im Sommer 2018 die Selbsthilfegruppe Polyneuropathie. Anfangs kamen gut 30 Betroffene. Denn kaum jemand kennt zwar das Wort Polyneuropathie, aber an der Nervenerkrankung mit ihren diffusen Symptomen leiden viele Menschen. Auch Promis wie Musikproduzent Ralph Siegel und Schlagersänger Jürgen Drews haben ihre Polyneuropathie-Erkrankung öffentlich gemacht. Die Corona-Pandemie mit ihren Einschränkungen bedeutete für die Gruppe einen Rückschlag. Treffen waren nicht möglich und digitale Runden funktionierten nicht. Vor einigen Monaten dann der Neuanfang: „Pfarrer Beckmann hat uns im Casimirianum aufgenommen.“

Ursache unbekannt

Die monatlichen Treffen seien enorm wichtig, sagt Römer. Denn es gebe inzwischen zwar viele Medizinprodukte zum Stichwort Polyneuropathie, „aber das ist alles heiße Luft“. Da die Medizin immer noch nicht wisse, wodurch die Nervenerkrankung ausgelöst werde, „kann es eben auch keine Therapie geben“. Betroffene hätten folglich einen sehr großen Redebedarf. Das Einzugsgebiet sei groß und reiche bis Bad Dürkheim, Germersheim und Ludwigshafen. „Wir helfen uns gegenseitig, mit der Krankheit zu leben“, sagt Römer. Der Vortrag eines Sportwissenschaftlers im April habe sehr geholfen: „Da kamen 100 Zuhörer.“ Der Wissenschaftler habe viele kleine Übungen erläutert. Zum einen, um den Gleichgewichtssinn zu stärken, und zum anderen, um Fehlhaltungen zu verhindern.

Klaus Römer
Klaus Römer

Denn Polyneuropathie lässt sich nicht auf ein Problem zurückführen. Je nachdem, was genau betroffen ist, leiden die Patienten über ein Kribbeln und Taubheitsgefühl in Armen und Beinen, zum Teil gibt es „enorme Schmerzen“, die Händen sind zittrig und bei Störungen im Verdauungssystem ist anhaltender Durchfall möglich. Entsprechend sei es wichtig, dass Betroffene auf ihre Symptome reagierten. Und Schmerzen, das habe der Sportwissenschaftler gut erläutert, seien „eigentlich nicht Bestandteil der Polyneuropathie, sondern treten durch Fehlhaltungen aufgrund der körperlichen Einschränkungen auf, daher ist Training und Muskelstärkung so wichtig“, sagt Römer.

Wie ein Kleinkind

Der Alltag mit dieser Erkrankung sei schwierig. Auch er habe vieles neu lernen müssen. „Für mich ist jeder Ausflug im Freien wie er es für ein Kleinkind ist, ich entdecke das immer wieder neu und muss mich beweisen“, sagt Römer und ergänzt: „Entsprechend anstrengend ist das.“ Umso mehr ärgert ihn, wie wenig Städte wie Neustadt auf die Bedürfnisse von Behinderten ausgerichtet seien. Zur Unterstützung und um Stürze zu vermeiden, setzt Römer auf einen Rollator: „Doch die vielen Löcher, Absenkungen und hohen Bordsteine sind große Hindernisse für uns.“ Wichtig wären zudem Sitzmöglichkeiten in Geschäften, „weil wir manchmal einfach nicht mehr können“. Als Polyneuropathie-Patient müsse man sich genau vortasten beim Gehen, „denn über die Nerven bekommen wir keine Information, ob es Unebenheiten oder Löcher gibt“. Daher seien Stürze und Verletzungen keine Seltenheit.

Auch bei ihm sei die Feinmotorik stark eingeschränkt. „Ich bin auf meine Frau angewiesen“, betont der Mußbacher. Es sei für ihn immens anstrengend, aufzustehen und etwa den Salzstreuer zu holen. „Das macht dann immer schnell meine Frau.“ Auch beim Duschen müsse sie ihm helfen. Wie gravierend die Nervenstörungen sind, veranschaulicht Römer mit einer Tasse: Ist sie leer, kann er sie gut halten. Ist sie jedoch mit Kaffee gefüllt, zittert wegen des höheren Gewichts sofort die Hand.

Man müsse eben Stück für Stück schauen, was machbar ist. In der Selbsthilfegruppe drehe sich vieles daher um den Austausch: „Jeder soll von seinen Befindlichkeiten erzählen.“ Das „Zuhören und Beistehen“ seien eminent wichtig, damit alle Betroffenen ihren Lebensmut nicht verlieren. Aufgrund der guten Erfahrungen mit dem Sportwissenschaftler im April soll es beim Treffen im Mai erneut bei einem Fachvortrag um Unterstützungsmöglichkeiten gehen. Denn auch wenn die Erkrankung nicht heilbar und vieles anstrengend sei, so „können wir doch leben und wir lernen, damit zu leben und uns in dem Rahmen zu verbessern“.

Info

Die Gruppe trifft sich jeden ersten Donnerstag im Monat um 15 Uhr im Casimirianum, www.sh-polyneuropathie.de, E-Mail: ich@klausroemer.de

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