Neustadt Neustadterin veröffentlicht Erinnerungen einer Gräfin von Zeppelin

Vinzenz und Lore, Graf und Gräfin von Zeppelin, kurz nach ihrer Hochzeit 1943 auf dem Hof Oberseeleiten (rechts) in Oberösterrei
Vinzenz und Lore, Graf und Gräfin von Zeppelin, kurz nach ihrer Hochzeit 1943 ...

Über 25 Jahre lang lag das ererbte Schreibmaschinen-Manuskript bei Angelika Bohrmann in der Schublade. Dann brachte eine Freundin die Neustadterin dazu, die 1953 verfassten Erinnerungen ihrer Mutter an die Jahre 1943 bis 1947, die sie als frisch verheiratete Gräfin von Zeppelin auf einem idyllischen Gut in Oberösterreich verbrachte, als Zeitdokument zu veröffentlichen. Am Sonntag nun stellen sie und ihre Tochter, die Schauspielerin Leni Bohrmann, das Buch im „Theater in der Kurve“ vor.

Die Geschichte, die Angelika Bohrmanns Mutter auf erfrischend unbekümmerte Weise niedergeschrieben hat, liest sich auf den ersten Blick fast ein bisschen wie ein Roman von Hedwig Courths-Mahler. Da heiratet eine junge Frau, die 1922 in Stuttgart als Lore von Zangen selbst in eine Familie aus altem hessischem Adel hineingeboren war, mitten im Krieg, 1943, den Grafen Vinzenz von Zeppelin, genannt Boby, einen Großneffen des Luftschiff-Erfinders, und zieht aus der bereits von Bombenangriffen gezeichneten Großstadt auf das Gut ihrer Schwiegermutter in Seeleiten im Innviertel, etwa auf halbem Weg zwischen Salzburg und Braunau gelegen, wo der Krieg bis dahin nur als fernes Rauschen wahrzunehmen ist. Der von einer Pächterfamilie bewirtschaftete Vierkanthof und die ländlich geprägte Umgebung mit Blick auf die Alpen sind für die junge, naturverbundene Gräfin die pure Idylle – in die mit der Zeit allerdings einige Wermutstropfen einsickern, vor allem, nachdem der junge Graf 1945 an der Front getötet wird, der Krieg auch das Innviertel erreicht und sich das Verhältnis zur Schwiegermutter immer schwieriger gestaltet. Nach dem Einzug der Amerikaner wird der Hof enteignet. 1947 verlässt die Gräfin die Gegend für immer. Nur zweimal kommt sie später noch für kurze Besuche zurück.

Manuskript mit frischen Erinnerungen

„Meine Mutter war unglaublich verliebt in den Hof und die Gegend“, erinnert sich Angelika Bohrmann. Das Manuskript, das Lore von Zeppelin, 1953 mit noch ganz frischen Erinnerungen auf billigem Nachkriegspapier heruntertippte, war in der Familie immer bekannt, aber nie groß beachtet worden. Die Gräfin heiratete 1950 zum zweiten Mal und nahm den Nachnamen ihres Mannes Carlo Bertsch an. Ihre Erinnerungen an die Zeit auf dem Seeleiten-Hof widmete sie ihrer 1952 geborenen Tochter Angelika, die die mit Bindfaden zusammengebundenen Blätter 1991 im Nachlass ihrer Mutter wiederfand. Wie es dann vor rund einem Jahr zu der Idee kam, die Lebenserinnerungen als Zeitdokument für die Nachwelt zu veröffentlichen, ist dann fast noch einmal eine eigene Geschichte. Angelika Bohrmann, die zuvor noch nie in der Gegend war, nahm Kontakt nach Seeleiten auf, um zu recherchieren, ob sich dort noch jemand an die junge Gräfin Lore von Zeppelin erinnert, die dort vor 75 Jahren gelebt hat. Und erstaunlich viele Leute konnten. „Wir haben da einen unglaublichen Hype ausgelöst“, erinnert sich die Enkelin Leni Bohrmann. Dabei seien fast alle Details aus dem Buch in der Sache bestätigt worden. Auch der Hof selbst ist noch vorhanden, wenn auch nach mehreren Besitzerwechseln stark verändert. Ein Unternehmer aus der Region nutzt ihn heute als „Gnadenhof“ für alterschwache Tiere. Lore von Zeppelin, die einst mit so viel Hingabe im Ententeich gebadet hat, wie im Buch zu lesen ist, hätte das gefallen.

Gelesen von der Enkeltocher

Das Interesse an der jungen Gräfin beschränkte sich in der Region allerdings nicht nur auf Plaudereien mit Alteingesessenen. Über Stephan Peer, der nur 300 Meter vom Seeleiten-Hof entfernt eine Wirtschaft betreibt, fand Angelika Bohrmann auch einen örtlichen Verleger, der das Buch veröffentlichen wollte. Im Juni 2018 erschien es im Innsalz-Verlag. Bei der Präsentation kurze Zeit später in „Peers Jausenstube“ wohnten über 100 Gäste, darunter der Bürgermeister, die Presse, etliche Zeitzeugen und deren Nachfahren, der von Leni Bohrmann gestalteten Lesung bei. Ganz so viele werden es jetzt im „Theater in der Kurve“ vermutlich nicht werden – schließlich hatte Lore Bertsch, die nach dem Krieg in Stuttgart und Tübingen lebte, keinen direkten Bezug zu Neustadt. Der persönliche Stil des Buchs, auch die Naivität, mit der hier eine junge Frau auf das monströse Weltgeschehen um sie herum reagiert, ist aber durchaus spannend. Explizite Kritik am „Dritten Reich“ kommt dabei nicht vor. Die junge Gräfin verstand den Seeleiten-Hof vor allem als Rückzugsort angesichts der Zumutungen der Zeit – für Verwandte ebenso wie für Vertriebene aus dem Osten oder Wehrmachtsangehörige, die im Mai 1945 noch gar nichts vom Kriegsende mitbekommen hatten. Auch diese unglaubliche Episode wurde übrigens von Zeitzeugen in Österreich bestätigt. Termin Leni und Angelika Bohrmann stellen Lore Bertschs Erinnerungen „Seeleiten – Meine gräflichen Jahre“ am Sonntag, 28. Oktober, um 11 Uhr in einer durch Bilder unterstützten Lesung im Hambacher „Theater in der Kurve“ vor. Für Musik sorgen Andrea C. Baur und Jennifer Harris. Der Eintritt ist frei. „Seeleiten – Meine gräflichen Jahre“ ist als Paperback im Innsalz-Verlag erschienen, hat 194 Seiten und kostet 20,90 Euro.

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... auf dem Hof Oberseeleiten in Oberösterreich, der seit 1926 der Familie von Zeppelin gehörte.
Lore von Zeppelin war von der Landschaft um Seeleiten (hier der Blick auf die Alpen) fasziniert, wie in ihren 1953 verfassten Er
Lore von Zeppelin war von der Landschaft um Seeleiten (hier der Blick auf die Alpen) fasziniert, wie in ihren 1953 verfassten Erinnerungen zu lesen ist.
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Lore von Zeppelin widmete ihre Erinnerungen ihrer Tochter Angelika Bohrmann.
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