Neustadt Prüfung mit Bravour bestanden

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Neustadt. Blasmusik ist „in“, zumindest die der „Bläserphilharmonie Deutsche Weinstraße“: Der Neustadter Saalbau jedenfalls war beim Konzert am Samstagabend voll, das Publikum altersmäßig bunt durchmischt, wie übrigens auch im Orchester, dort mit einem deutlichen Schwerpunkt auf jungen Musikern.

Dirigent Thomas Kuhn hatte ein Programm zusammengestellt von Klassik und moderner Klassik bis Filmmusik und Swing, für letzteres war der Klarinettist und Bandleader der „Blue Note Bigband“, Bernd Gaudera, als Solist gewonnen worden. Sandra Wippenbeck und Lothar Glasmann führten durch das Programm. Das Konzert begann sehr feierlich und klassisch mit dem „Krönungsmarsch“ von Peter Tschaikowsky, neu arrangiert von dem Niederländer Jan Bosveld. Tschaikowsky schrieb das Stück, von der Stadt Moskau bestellt, für die Krönung von Zar Alexander III. 1883 und verarbeitete darin die damalige russische Nationalhymne „Gott schütze den Zaren“. Drei Sätze gehen ineinander über, zwei schwergewichtige, gravitätische Teile, bei denen man vor seinem geistigen Auge den Aufmarsch einer ganzen Kavallerie sieht, rahmen einen feineren, wie tänzelnden Mittelteil. In starkem Kontrast dazu stand „The silent hills of my childhood“ von George Farmer. Ein kurzes Stück, langsam und romantisch, das wie die Filmmusik zur eigenen, etwas wehmütig-süßen Erinnerung an die glücklichen Momente der Kindheit klingt, an die Zeit, als man noch geheime Orte zum Spielen und sich Verbergen vor der Welt kannte. Ein erster Höhepunkt war dann das „Divertimento“ von Oliver Waespi, einem jungen, 1971 geborenen Schweizer Komponisten. Es ist eine Auftragsarbeit für den Schweizer Blasmusikverband für die Kategorie „Höchstklasse“ beim Eidgenössischen Musikfest in St. Gallen. Mit anderen Worten: Das Stück ist eine Herausforderung, eine Art Prüfungsaufgabe für sinfonische Blasorchester. Wer es packt, darf sich zur obersten Kategorie zählen. Die Bläserphilharmonie hat es, für alle hörbar, mit Glanz gepackt. Das Stück hat vier völlig unterschiedliche Sätze: ein Prélude, das die melodiösen Schwerpunkte vorstellt, gefolgt von einer „Méditation“, bei der sich etliche solistische Einlagen über einer Basis sphärischer Klänge erheben, eine „Procession“, die eine starke, treibende Rhythmik hat, und als Schlusssatz ein „Hoedown“, ebenso rhythmisch und sehr schnell. Bei den beiden letzten Sätzen konnte auch die große, sechs Musiker starke Percussion-Gruppe voll auffahren. Die „Procession“ war keine deutsche Fronleichnamsprozession, sondern eine Straßenmusik im New-Orleans-Stil, die in die Beine geht. Der Groove wurde von einem Cajon vorne neben dem Dirigenten bestimmt, und der Percussionist wechselte mehrmals von seinem angestammten Platz nach vorn, um den Rhythmus anzuführen. Der „Hoedown“ schließlich, benannt nach einem amerikanischen Tanz der Pionierzeit, setzte die kraftvolle Rhythmik fort. Viel wohlverdienten Beifall gab es für das Glanzstück, und strategisch gut geplant war dann Pause zur Erholung. Der zweite Teil begann mit einem vergnüglichen Stück Filmmusik, „Tintin – prisoners of the sun“, von Dirk Brossé nach dem 14. Band der belgischen Comic-Reihe, die in Deutschland „Tim und Struppi“ heißt. Tim und seine Freunde geraten in Peru in die Gefangenschaft von Inka-Nachfahren, die sie opfern wollen. Mit etwas Phantasie konnte man die südamerikanischen Klänge heraushören. Dann war es Zeit für den zweiten Höhepunkt des Abends, das „Concerto for Clarinet and Band“ von Artie Shaw. Mit Bernd Gaudera als Solisten, verwandelte sich die Bläserphilharmonie mit hörbarem Vergnügen in eine Bigband. Gaudera, ausnahmsweise mal befreit von der Verantwortung für die eigene Band, verzauberte den Saalbau mit dieser spielerischen, witzigen Musik so, dass es kaum jemanden ruhig auf dem Sitz hielt. Belohnt wurde er mit einem wahren Beifallssturm. Das Konzert ging zu Ende mit der „Music for a festival“ des auf sinfonische Blasmusik spezialisierten englischen Komponisten Philip Sparke, der sich noch zwei stürmisch geforderte Zugaben anschlossen.

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