Neustadt Singende Posaunen

Hochkonzentriert: die Musiker im Festsaal des Mußbacher Herrenhofs.
Hochkonzentriert: die Musiker im Festsaal des Mußbacher Herrenhofs.

«Neustadt-Mussbach». Der musikalische Osterspaziergang, zu dem die Posaunisten Henning und Eckart Wiegräbe in den Mußbacher Herrenhof geladen hatten, lockte lauschende „Mitwanderer“ zu Scharen. Veranstaltet von der Fördergemeinschaft Herrenhof in Zusammenarbeit mit der Neustadter Stiftkantorei geleitete das von Henning Wiegräbe geleitete Stuttgarter Capricornus-Ensemble die Zuhörer an Stationen barocker Vokalkunst – rein instrumental, wie der Titel „Lieder ohne Worte“ verrät.

Wenn dereinst Sängerstars, sich des Nachts an Wein und Weib im Übermaße labend, im trüben Morgengrauen gewahr wurden, dass der Gesang heuer tunlichst unterbleiben sollte, so konnte das zu Zeiten des großen Karl Eugen von Württemberg Konzert-Tourneen schon bös’ gefährden. Wenn da nicht zwei Soloposaunisten zur Stelle gewesen wären, die rettend einschritten, ihre Posaunen so gewandt, virtuos und charismatisch in Spiel brachten, dass man – Text hin oder her – die Kastratentöne so gar nicht vermisste … Soweit das liebenswert amüsante Szenario, das Henning Wiegräbe beharrlich als roten Faden am ungewöhnlichen Kammermusikabend entlangspann. Und in der Tat: Heinrich Schütz („Es steh’ Gott auf“, SWV 356) und Claudio Monteverdi (Zefiro torna aus „Scherzi musicali“), die motivischem Bezug stehenden Eckpunkte des ersten Programmteils, blieben auch ohne ihre verbale Ausführung rundweg köstliche Musik. Wenngleich sie wiederum ohne ihr verbales Fundament so vermutlich nicht komponiert worden wären: Der Text hätte im Programmheft das Wissen der Zuhörer erhellt. Der musikalische Zauber freilich teilte sich ungeachtet dessen vorbehaltlos und den Abend über ungebrochen mit. Denn es wurde exzellent und auf ausgesucht frische und nuancenreiche Weise musiziert. Und Henning Wiegräbes kontrastreiches Programm-Arrangement schuf für alle Akteure reichlich Gelegenheit, ihrem Affen Zucker zu geben, will sagen: Mit frühbarocken Meistern der üppig notenreichen Ornamentik wie Giovanni B. Buonamente und Andrea Falconiero ließ sich das schillernde Spektrum spieltechnischer Vabanque-Akte und atemberaubender Auszierungsraffinessen geradezu spektakulär auffächern. Und dem gab sich das auf historischen Instrumenten spielende Capricornus Ensemble mit dem anbetungswürdig und absolut trittsicher zelebrierenden Trio der Streicherinnen Katharina Heutjer und Eva Saladin, Violinen, sowie Christine Wiegräbe, Violoncello, außerdem Simon Reichert, mal am Cembalo, mal an der Truhenorgel, schließlich den beiden Soloposaunisten auf rundweg faszinierende Weise hin. Man lauschte gebannt, verblüfft, nicht zuletzt dem figuralen Geflecht, das die beiden Spitzenbläser mit ihren engmensurierten Barockposaunen so eloquent und facettenreich übers Podium schickten. Nach der Pause – Henning Wiegräbe annoncierte „Zeitgenössisches“ – erlaubte die „Aria“ des Mitte der 1750er-Jahre am Stuttgarter Hof glänzenden Italieners Noccolò Jommelli einen prophetischen Blick in Richtung Vorklassik, bevor mit Georg Friedrich Händel die prunkvolle Seite des Hochbarock, die der Opera nämlich, die Bühne betrat. Eingerahmt in die von Streicherinnen und Tastencontinuo hinreißend zelebrierte Sonata II d-Moll (ursprünglich für zwei Oboen), „sang“ Goffredo aus Händels heute vielgespielter erster England-Oper „Rinaldo“ einige seiner hinreißendsten Arien. Statt des Altus gab es diesmal, und das nicht weniger genussvoll, empfindsam bis pulsierend gestaltete Bläserakrobatik von Henning und Eckart Wiegräbe zu hören.

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