Neustadt Tallage schränkt beim Planen ein

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Zunächst die nackten Zahlen: Im Jahr 1965 hatte die Verbandsgemeinde Lambrecht noch 16.762 Einwohner. Zehn Jahre später waren es nur noch 14.987. Wieder zehn Jahre später hatte die Verbandsgemeinde weitere 1000 Einwohner verloren. Dann ein leichter Aufwärtstrend. Doch seit den 1990er Jahren geht es fast jährlich zurück: von 14.155 im Jahr 1992 auf den vorläufigen Tiefststand von 12.350 im Jahr 2013. Es ist dies das letzte Jahr, für das das Statistische Landesamt Einwohnerzahlen veröffentlich hat. Immerhin: Momentan stagniere die Bevölkerungszahl, sagt Verbandsbürgermeister Manfred Kirr. Er und die Beigeordneten Hans-Werner Rey (CDU) und Hans Seiberth (SPD) sprachen mit der RHEINPFALZ über diese Entwicklung und ihre Folgen. Der starke Rückgang ab den 60er Jahren lässt sich noch mit dem „Pillenknick“ und so mit einer gesamtgesellschaftlichen Entwicklung erklären. Aber es kamen später lokale Faktoren hinzu. Vor allem der Verlust industrieller Arbeitsplätze, bei der Papierfabrik, Knoeckel, Schmidt und Cie. (Rey: „Die hatte zu ihren guten Zeiten 500 Mitarbeiter“), bei der Heinrich Häussling KG in Lambrecht, bei der Karl Hoffmann GmbH oder der Maschinenfabrik Welker. „Mit dem Verlust von Arbeitsplätzen gehen auch Familien verloren“, sagt Seiberth. Was kann eine Kommune gegen die Abwanderung von Arbeitsplätzen und in der Folge sinkende Einwohnerzahlen tun? Gewerbegebiete ausweisen, neue Betriebe anlocken, attraktive Baugebiete planen. In der Verbandsgemeinde Lambrecht ist das aber äußerst schwierig. Die Tallage lässt großzügige Gewerbegebiete nicht zu. Nicht nur die Hanglage spricht dagegen. Auch der Naturpark Pfälzerwald, in dem die Ortsgemeinden liegen. Kirr und seine Beigeordneten sprechen von einer sehr restriktiven Genehmigungspolitik schon bei kleinen Bauvorhaben. Ein Beispiel: Der Verbindungsweg zwischen Elmstein und Esthal hat immer noch einen Abschnitt, der nur Schotterpiste ist und nicht asphaltiert werden darf. „Das versteht hier kein Mensch“, sagt Seiberth, der so auch kleine Maßnahmen, die Infrastruktur zu verbessern, behindert sieht. Schon lange setzt sich Kirr auch dafür ein, dass Privatinvestoren eine Zipline-Anlage (Gleitfliegen an Seilen) bei Iggelbach errichten können. Das Problem: Die ursprüngliche Trasse führte an einer „Stillen Zone“ des Pfälzerwalds vorbei. Kirr ist aber zuversichtlich, dass es nach einer Änderung der geplanten Trasse eine Lösung gibt, der die Naturschutzbehörde zustimmen kann. Dass derzeit die Bevölkerungszahlen stagnieren, also zumindest nicht zurückgehen, ist auch den günstigen Immobilienpreisen in den Talgemeinden zuzuschreiben. Nicht nur Mieter, auch Familien, die sich preiswerte Häuser kaufen und renovieren, profitieren davon. Zumindest in Teilen der Verbandsgemeinde. „Gerade sind in Frankeneck drei Häuser verkauft worden“, weiß Seiberth. Vor allem in Kernbereichen der Orte gibt es Zuzüge. In Lindenberg ist so der Negativtrend bei den Schülerzahlen gestoppt worden und es gab erstmals seit längerem wieder mehr Anmeldungen an der Grundschule, berichtet Rey. Nach wie vor viele Leerstände gebe es hingegen in Elmstein und auch in Weidenthal, weiß Kirr. Entlang der Bundesstraße 39 sind Häuser schwieriger zu vermarkten: Auf einer Seite die B 39, auf der anderen die Bahnlinie – das ist nichts für Lärmempfindliche. Die Bahn ist aber auch ein wichtiger Standortvorteil für die Verbandsgemeinde Lambrecht: In 35 Minuten ist man mit der S-Bahn von Lambrecht aus im Halbstundentakt in Ludwigshafen und Mannheim. Weidenthal hat die gute Verbindung in die für das Dorf wichtigen Richtungen nach Neustadt wie Kaiserslautern. Der Kraftakt von Stadt und Verbandsgemeinde Lambrecht, vor Jahren den Busbahnhof und die Parkplätze am Lambrechter Bahnhof einzurichten, komme auch Esthal und Elmstein zugute, sagt Kirr. Denn dort können Berufspendler umsteigen auf der Fahrt zur Arbeit in den Ballungszentren. In der Verbandsgemeinde Lambrecht ist der Rückgang der Einwohnerzahlen zuletzt durch den positiven Wanderungssaldo etwas gemildert worden: Es sind mehr Menschen zugezogen als weggezogen. Im Jahr 2013 waren es 959 Zuzüge und 917 Fortzüge. Also hier ein Plus von 42 Einwohnern. Denn einen „natürlichen Zuwachs“ gibt es schon lange nicht mehr: Es sterben pro Jahr weit mehr Menschen aus der Verbandsgemeinde als Kinder geboren werden. So im Jahr 2013: 81 Geburten, aber 192 Todesfälle. Zu der relativ hohen Todesrate und geringen Geburtenrate trägt auch bei, dass die Bevölkerung im Lambrechter und Elmsteiner Tal überdurchschnittlich alt ist. Hier sind 16,2 Prozent der Bevölkerung 65 bis 80 Jahre alt und 6,6 Prozent über 80 Jahre. Beim Durchschnitt der Verbandsgemeinden in der gleichen Größenklasse liegt der Anteil der 65- bis 80-Jährigen landesweit nur bei 15,2 Prozent, der über 80-Jährigen bei 5,5 Prozent. Die Altersstruktur legt nahe, dass das Problem der Ärzteversorgung ein wichtiges Thema im Tal bleibt. Mehrere der praktizierenden Ärzte in der Verbandsgemeinde sind selbst in einem Alter, bei dem zu erwarten ist, dass sie sich in einigen Jahren zur Ruhe setzen werden. Und Nachfolger für Arztpraxen auf dem Land zu finden, ist nicht leicht – damit haben auch viele andere Regionen zu kämpfen. Zumindest sensibilisieren für dieses Thema könnte eine Bewerbung der Verbandsgemeinde beim Zukunftsprogramm „Gesundheit und Pflege 2020“, hofft der Bürgermeister. Das rheinland-pfälzische Ministerium für Soziales und Gesundheit will ländliche Kommunen dabei unterstützen, Maßnahmen zur Sicherung der ärztlichen Grundversorgung zu entwickeln. Es organisiert und finanziert regionale Zukunftswerkstätten, in denen die Kommunen gemeinsam mit den lokalen Akteuren des Gesundheitswesens und unter Mitwirkung der Kassenärztlichen Vereinigung Rheinland-Pfalz geeignete Lösungen erarbeiten. Bis 25. September können sich interessierte Verbandsgemeinden und verbandsfreie Gemeinden unter 20.000 Einwohnern für das Projekt bewerben. Gut aufgestellt ist Lambrecht mit dem Seniorenhaus der Arbeiterwohlfahrt. Dort wurde auch die Anzahl der Plätze für Kurzzeitpflege erhöht. Für Hans-Werner Rey ein wichtiger Schritt zur Entlastung von pflegenden Angehörigen. Denn die könnten sich so mal eine dringend notwendige „Auszeit“ bei der Pflege gönnen. Auch die Nachbarschaftshilfe, in Lambrecht gegründet und in anderen Talgemeinden zumindest geplant, kann älteren Menschen beistehen. Zumal inzwischen ein eigenes Fahrzeug zur Verfügung steht und es Senioren in abgelegenen Wohnlagen gelegentlich erleichtert, Besorgungen zu machen. Zurück zur Jugend: Bestnoten erhält von der Verwaltungsspitze die offene Jugendarbeit, die es inzwischen flächendeckend im Tal gibt. Sie sei „sehr erfolgreich“ und gelte geradezu als „Vorzeigemodell“ im Landkreis, sagt Rey. Und „deswegen sehen wir das auch als eine Pflichtaufgabe an“, ergänzt Manfred Kirr. Gerade bei den Ferienprogrammen, bei denen Kinder nicht nur sinnvoll beschäftigt, sondern auch mit Mahlzeiten versorgt werden, zeige sich, dass bei vielen Familien ein Bedarf an Betreuung bestehe. (ff)

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