Neustadt Turnvater Jahn ist an allem schuld

Sportpsychologe und Kümmerer: Seyhan Hasirci.
Sportpsychologe und Kümmerer: Seyhan Hasirci.

«Neustadt.» Turnvater Jahn hatte es Seyhan Hasirci schon früh angetan. Selbst Turner aus Leidenschaft, bewundert er noch heute, was der Deutsche im 19. Jahrhundert für diesen Sport getan hat und dass seine Arbeit noch immer aktuell ist. Deshalb war der Turnvater auch schuld daran, dass sich Hasirci Ende der 1970er-Jahre für Deutsch entschied, als es darum ging, als Sportdozent eine Fremdsprache zu lernen. Eine schicksalhafte Entscheidung, da sie ihn auch mitten ins Herz traf: Am Goethe-Institut in Izmir lernte er eine Deutschlehrerin kennen – seine spätere Ehefrau Charlotte. Seit vielen Jahren lebt er mit seiner Familie in Neustadt.

Bis es soweit war, hatte Seyhan Hasirci aber noch eine weite Strecke zurückzulegen, sowohl im Sport als auch in seiner akademischen Laufbahn. Schon als Junge zuhause in Adana, einer Millionenstadt nahe der Neustadter Partnerstadt Mersin-Yenisehir, war Turnen sein großes Hobby. „Ich konnte mich einfach gut bewegen, vielleicht auch deshalb, weil wir viel draußen waren, auf Bäumen herumturnten und mehr.“ Auf den Händen laufen, einen Salto aus dem Stand schlagen, alles kein Problem. Trotzdem gab es neben dem Sportlehrer noch einen anderen Beruf, den er sich ebenso hätte vorstellen können: Pilot. Deshalb vielleicht ist der 64-Jährige auch heute noch gern in Sachen Sport weltweit unterwegs, meist im Flieger natürlich. Während des Sportstudiums in Ankara turnte er nebenher und legte die Kampfrichterlizenz ab – in Hannover, weil es in der Türkei zu wenige Aspiranten gab. Die eigene Sportkarriere beendete er aber früh, trainierte dafür die türkische Turner-Nationalmannschaft. Der erste internationale Wettbewerb: die Schulweltmeisterschaften 1976 in Izmir. Es folgten weitere Jahre als Trainer und Kampfrichter im türkischen Turnerverband. Ein ehemaliger Sportlehrer, mittlerweile Professor an der neuen Sporthochschule in Izmir, setzte Hasirci dann aufs akademische Gleis. Er wurde 1978 dessen erster Assistent, musste dazu Deutsch lernen. Die Dinge nahmen ihren Lauf. Immer wieder besuchte Hasirci die Deutsche Sporthochschule in Köln, lernte dabei den Weltklasseturner Eberhard Gienger kennen, „ein lieber Turnfreund“. 1989 folgte die Doktorarbeit über „Erfolg und Misserfolg“ – sein Einstieg in die Sportpsychologie, die ihn nicht mehr losließ, was später in eine Professur in Izmir mündete. „Das Thema hat mich so berührt, dass ich noch viel tiefer einsteigen wollte.“ Wer sich nun aber schnelle Tipps erwartet, wie beispielsweise Lampenfieber vor einem Wettkampf bekämpft werden kann, der irrt. Dazu, so Hasircis Erfahrung, muss man richtig arbeiten, vor allem mit dem Umfeld des Sportlers, also mit Trainer und Familie. Ein weltweites Netzwerk knüpfte der Sportpsychologe zudem über seine Arbeit für das türkische Olympische Komitee und für die UEG, die Europäische Turnunion, deren Ehrenmitglied er heute ist. „Ich kenne die europäische Turnfamilie sehr gut“, beschreibt er es rückblickend. Ende 2002 ging er an der Sporthochschule Izmir in Rente und siedelte ganz nach Deutschland über. Zwei Söhne waren mittlerweile im Teenageralter, die Familie baute in Neustadt. Denn: Im Ruhestand war Seyhan Hasirci damit noch lange nicht. Die Partnerschaft zwischen der Sporthochschule Izmir und der Universität Landau-Koblenz ermöglichte eine weitere Dozententätigkeit in der Pfalz. 2008, bei der Fußball-WM in Österreich und der Schweiz, kümmerte er sich für den europäischen Fußball-Verband Uefa und den türkischen Fußballverband um das Fanprojekt. Nebenbei leitet er seit Jahren bei der Deutschen Sportjugend den Jugendaustausch. In der Pfalz hat er sich zwischenzeitlich auch einen Namen in der türkischen Gemeinde gemacht, unter anderem war er zehn Jahre lang Vorsitzender des deutsch-türkischen Kulturvereins Vorderpfalz. Dieser existiert heute nicht mehr, doch würde ihn Seyhan Hasirci gern wiederbeleben. Im Idealfall in Verbindung mit neuen Impulsen für die Städtepartnerschaft zwischen Neustadt und Mersin-Yenisehir. Die jüngste Reise einer Neustadter Delegation hatte er begleitet – und sowohl den Neustadtern als auch den türkischen Partnern eindrucksvoll vermittelt, wie gut es sein kann, in zwei Kulturen zuhause zu sein, wenn man dafür offen ist. Warum das bei ihm so war, beschreibt Seyhan Hasirci mit zwei Sätzen: „Sport bringt etwas. Durch das Turnen habe ich die Welt kennengelernt.“

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