Neustadt Wer singt, der betet doppelt

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Ihr Klang hat die Besucher des Festgottesdiensts gestern Morgen begeistert: In der nahezu voll besetzten Stiftskirche wurde die neue Chororgel offiziell ihrer Bestimmung übergeben. Prominentester Gast: Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth. Und mit Manfred Sutter ein Oberkirchenrat in bester Predigerlaune.

Eine Stunde vor Beginn kamen schon die ersten Gäste: Sie wollten sich einen möglichst guten Platz im protestantischen Teil der Stiftskirche sichern. Zum ersten Mal sollte die neue Chororgel einen Gottesdienst begleiten. Einen Festgottesdienst, versteht sich. Denn dass das Instrument an diesem Sonntag seiner Bestimmung übergeben wurde, kann kein Zufall sein. War es doch der Sonntag Laetare, der vierte in der Passionszeit, mit dem die Hälfte der Fastenzeit überschritten ist. „Freue dich“ ist dann angesagt. Weil es auf Ostern zugeht – und diesmal auch die neue Orgel da ist . Einen besonders guten Platz hatte natürlich Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth. Sie war auf Wahlkampftour, dabei auch in Neustadt und besuchte ebenso gern noch den Gottesdienst. Was auch nicht ganz von ungefähr kam: „Mein Großvater Maximilian war Organist und Kirchenmusiker im Schwäbischen, und von ihm habe ich schon früh meinen eigenen Bezug zur Musik überhaupt und zur Orgelmusik im Besonderen bekommen“ erzählte die Grünen-Politikerin. Bis um Punkt 10.17 Uhr Bezirkskantor Simon Reichert erstmals die Tasten bespielte, war es ein Gottesdienst ohne Musik – ungewöhnlich und fast so, als ob mit dieser Dramaturgie die Spannung auf den bevorstehenden Orgelklang erhöht werden sollte. Mit einem Gedicht zum Lob des Orgelklangs begrüßte Dekan Armin Jung die Gottesdienstbesucher und viele Ehrengäste . An die 50 Sängerinnen und Sänger der Neustadter Stiftskantorei und des kirchenmusikalischen Seminars füllten den Kirchenraum mit vierstimmigem Gesang. Erst als Jung das neue Instrument feierlich seiner Bestimmung übergeben hatte, durfte dann endlich der Orgelklang zur Ehre Gottes das Kirchenschiff erfüllen. Mit dem „Praeambulum primi toni“ von Matthias Weckmann gab Reichert erste Einblicke in die Möglichkeiten des Instruments. Keine Frage, dass auch die Liturgie ganz im Zeichen der Musik stand. Ob dies ein außergewöhnliches Glaubensbekenntnis war, das der Dekan zitierte und das poetisch den christlichen Glauben mit Musik verband, oder die unterhaltsame Predigt von Oberkirchenrat Manfred Sutter: Weil im Himmel das Geld für eine neue Orgel fehlte, berief Gott einen Arbeitskreis. Der sinngemäß zu dem Schluss kam „Kein Himmel ohne Musik und wer singt, der betet doppelt“ und sehr schnell eine Lösung fand. Wie der Himmel auf Erde kirchenmusikalisch aussehen kann, bewiesen danach die Stiftskantorei unter Moritz Baron und Simon Reichert an der Orgel, so mit Bachs Motette „Jesu meine Freude“ und der Toccata d-Moll von Dietrich Buxtehude. Im Anschluss an den Gottesdienste konnten sich die Besucher noch über die neue Chororgel informieren. Das Gedränge war groß, viele nutzten die Gelegenheit, sich von Orgelbauer Bernhardt H. Edskes Details erklären lassen. Derweil zeigte sich der Bezirkskantor erfüllt von seinem sozusagen ersten richtigen Zusammentreffen mit dem Instrument. „Ich bin sehr begeistert von diesem besonderen Ton der neuen Orgel, auch vom Register ,Vox humana’, das die menschliche Stimme nachbildet“, sagte Simon Reichert und schwärmte zudem von der Handwerkskunst, mit der sie gefertigt worden sei, „ohne eine einzige Schraube“. Die Entstehungs- und Bauphase der Chororgel hat Gisela Gauweiler, Sängerin der Stiftskantorei, ebenfalls fasziniert: „Seit Anfang November, als die Aufbauarbeit begann, war ich fast jeden Tag hier, um zu beobachten, wie das neue Instrument entsteht.“ Mit der Weihe der neuen Edskes-Orgel setzt sich in der Stiftskirche eine Orgeltradition fort, die nachweislich bis auf das Jahr 1516, also genau 500 Jahre, zurückreicht. Damals prüfte Arnolt Schlick, Organist der Kurfürsten zu Heidelberg, eine Orgel „zu Neustadt an der Hardt“, die von dem damaligen Domorganisten und -orgelmacher Hans Dinckel aus Speyer erbaut wurde. Der Bau der jetzigen Chororgel wurde ermöglicht durch zahlreiche Spender, Sponsoren und Zuschussgeber, vor allem auch durch Aktionen des Bau- und Fördervereins Stiftskirche.

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