Neustadt „Wir sind moderner geworden“
«Neustadt.» Der Herrenweinabend im Januar, das Sommernachtsfest im Park des Haardter Schlosses, mindestens zwei größere Konzert in Neustadt und ein reger Austausch mit Partnerchören in Mâcon und Lincoln – das sind die Eckdaten, mit denen die Liedertafel in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird. In diesem Jahr feiert der Chor sein 150-jähriges Bestehen.
Bereits der Herrenweinabend als gesellschaftliches Ereignis stand anlässlich des Geburtstags unter dem Motto „Wir laden zum Geburtstag ein – es lebe hoch der Herrenwein“, doch auch kulturell feiert das Ensemble sein Jubiläum mit zwei großen Konzerten. Das erste findet am kommenden Samstag im Saalbau statt. Im 150. Jahr ihres Bestehens präsentiert sich die Liedertafel gesund und munter. Doch 1969 stand der Chor kurz vor der Auflösung – „wegen Erfolglosigkeit“, wie der heutige Vorsitzende Frank Sobirey erzählt. Der altmodische Herrenweinabend, die geselligen Chorproben – all das habe nicht in die Zeit der 1968er Jahre gepasst. Der Rettungsversuch mit einem großen Ball hatte sich als Flop erwiesen, die Sänger liefen scharenweise davon: 30 Aktive und 300 Mitglieder waren übrig geblieben. Wie sich die Zeiten ändern können beweist nicht zuletzt, dass gerade der Herrenweinabend vom Kulturbüro der Metropolregion Rhein-Neckar vor dem Neustadter Kulturausschuss jüngst als eine der zukunftsfähigsten Veranstaltungen in Neustadt eingeschätzt wurde. Die „Liedertäfler“ Jakob Wahl und Karlheinz Nestle waren es, die sich nicht mit den Ende des 1867 als Männergesangsverein gegründeten Ensembles anfreunden wollten und Gerhard Koch ins Boot holten: Der übernahm 1970 das Dirigentenamt und rettete die Liedertafel, so Sobirey. Über 30 Jahre lang habe Koch dieses Amt ausgeübt, es dann im Jahr 2001 überraschend niedergelegt. Zu diesem Zeitpunkt war allerdings schon ein großes Open Air-Konzert mit fast 500 Mitwirkenden im Park des Herz Jesu-Klosters geplant, die Aufführung der Carmina Burana von Carl Orff: „Wir waren ziemlich unter Druck“, erinnert sich Sobirey. Auf der Suche nach einem neuen Chorleiter erinnerte er sich an Hans Jochen Braunstein, den er über Gerhard Koch kennengelernt hatte. Braunstein übernahm kurzfristig den Dirigentenstab, doch das sollte zunächst nichts nutzen: Das Konzert fiel ins Wasser. „Es war eine Katastrophe“, sagt Sobirey rückblickend: Sicherheitshalber hatte der Chor den bestuhlten Saalbau als Alternative gebucht, mit einem Offenbacher Wetterdienst eine – gebührenpflichtige – Wetter-Hotline eingerichtet. „Wir glaubten so auf alles vorbereitet zu sein, doch aus Offenbach hieß es bis kurz vor Konzertbeginn, dass das Wetter hält“, so Sobirey. Als es dann doch nicht hielt, war es für einen Umzug schon zu spät: Einige Mitglieder des teuer gebuchten Orchesters hatten bereits den Heimweg angetreten. Wenige Wochen später, im August 2001, setzte die Liedertafel einen Ersatztermin an – wieder mit Wetterwarnung, wieder mit einem Plan B, aber einem anderen Orchester: der Kammerphilharmonie Weinheim, die seitdem verlässlicher Begleiter vieler Liedertafel-Konzerte ist. „Das war ein Kraftakt und eine Hängepartie“, erinnert sich der Liedertafel-Vorsitzende. „Einerseits wollten wir das Open Air unbedingt durchziehen, andererseits zog eine Gewitterfront geradewegs auf Neustadt zu. Wir saßen also wieder mal auf gepackten Koffern“, berichtet er. Wie durch ein Wunder habe sich die Wetterfront kurz vor der Pfalz geteilt und sei in unterschiedlich Richtungen abgezogen, das Konzert fand statt und war mit fast 1800 Zuschauern ein voller Erfolg. „Mit Hans Jochen Braunstein haben wir einen Wandel vollzogen. Es gibt ein breites Repertoire, außerdem viele gemeinsame Aktivitäten über das Singen hinaus“, berichtet Sobirey. „Konzerte stellen grundsätzlich ein finanzielles Risiko für uns dar“, sagt Sobirey: Auf rund 12.000 Euro veranschlagt er die Kosten pro Veranstaltung, und das, obwohl die Liedertafel-Mitglieder immer anpacken und mithelfen, um Geld zu sparen. „Die Fördermitglieder, der Herrenweinabend und das Sommernachtsfest sind unser finanzieller Rückhalt, der den Konzertbetrieb ermöglicht“, betont er. Nicht zuletzt deshalb sei auf der jüngsten Mitgliederversammlung – nach längerer Diskussion - eine moderate Erhöhung der Mitgliedsbeiträge beschlossen worden: Der Jahresbeitrag für aktive Sänger stiegt von 25 auf 30, der für passive Mitglieder von 35 auf 40 Euro. Aktiv sind im Chor der Liedertafel derzeit etwa 80 Sängerinnen und Sänger, insgesamt hat der Verein jüngst die 1000er-Marke geknackt. „Uns ist schon klar, dass viele sich für eine Mitgliedschaft entscheiden, um sicherer an Karten für den Herrenweinabend oder das Sommernachtsfest zu kommen. Deshalb waren auch viele dafür, den Beitrag stärker zu erhöhen“, sagt Sobirey. Man habe sich trotzdem für die moderate Erhöhung entschieden, denn „Singen soll sich jeder leisten können“, so der Vorsitzende – zumal das allgemeine Problem der Überalterung der Aktiven auch die Liedertafel treffe: „Gerade Männerstimmen sind hochwillkommen“, betont Hermine Böckmann, die Chorsprecherin der Liedertafel. Seit 15 Jahren leitet Hans Jochen Braunstein nun die sängerischen Geschicke der Liedertafel, deshalb beschränkt der Chor sein feierliches Programm auf diesen Zeitraum: „150 Jahre hätten den Rahmen eines Abends gesprengt“, sagt Sobirey. In diese 15 Jahre fielen freilich auch viele konzertante Höhepunkte der Liedertafel, die 2016 mit einem gemeinsamen internationalen Auftritt in der New Yorker Carnegie Hall gipfelten: Über eine Aufführung der Messe „The Armed Man“ von Carl Jenkins mit den Chören aus Lincoln und Mâcon sei ein Kontakt zu dem Komponisten entstanden, der schließlich die Einladung in die USA zur Folge hatte. „Das war mehr als nur ein Konzert“, beschreibt er die gemeinsame Reise mit ihren zahlreichen Eindrücken. Doch auch die Liedertafel selbst habe sich in den vergangenen 15 Jahren verändert: „Früher wäre es undenkbar gewesen, ,Highway to hell’ beim Herrenweinabend zu spielen, aber viele unserer Mitglieder sind mit dieser Musik aufgewachsen und heute herrscht dabei eine tolle Stimmung“, beschreibt Sobirey. Andererseits sei die Neigung zum Schunkeln zurückgegangen: „Wir sind schon moderner geworden“, meint er. Ist das Konzert am kommenden Samstag eher der Geselligkeit und Unterhaltung gewidmet, geht es bei der Aufführung am 19. November wieder feierlich zu: „Es ist ja Volkstrauertag“, begründet Sobirey die Entscheidung für das Verdi-Requiem, das mit Mitgliedern der Partnerchöre aus England und Frankreich aufgeführt werden wird. „Die wieder wie immer in Gastfamilien unterzubringen, wird wieder eine logistische Herausforderung“, meint er. Doch zunächst stehen zwei unterhaltsame Veranstaltungen auf dem Liedertafel-Programm: Neben dem Konzert am Samstag, bei dem Mitwirkende und Zuschauer „durchaus etwas zusammenrücken sollen“, steht am 19. August das Sommernachtsfest in Haardt an. Dabei sei es übrigens nicht so schwierig an Karten zu kommen wie beim Herrenweinabend: „Im Saalbau sind wir ganz klar begrenzt, im Schlosspark können wir ein wenig ab und zu geben“, sagt der Hausherr. „Gemütlich“ sei es mit 1200 Gästen, ab 1500 würde es dann „schon ein bisschen eng“. Ähnlich wie bei den Veränderungen beim Herrenweinabend verspricht Sobirey auch beim Sommernachtsfest einige Neuerungen: „Es wird ein neues Outfit geben, außerdem spielt mit ,Me and the heat’ eine neue Band. Bei der traditionellen Vollmond-Garantie bleibe es aber, verspricht er – auch wenn der Vollmond dieses Jahr im August schon auf den 7. fällt. „Da wären noch Sommerferien gewesen, darum mussten wir uns etwas einfallen lassen“, sagt er. Was, will er nicht verraten. Im Internet www.liedertafel.com