Neustadt Zwischen Tutu und Techno

Ausdrucksstark: die Truppe der Mannheimer Hochschul-Tanzakademie.
Ausdrucksstark: die Truppe der Mannheimer Hochschul-Tanzakademie.

«Neustadt.» Die Publikumsresonanz ließ – wie schon in der letzten Saison – kaum eine andere Wahl: Gleich zwei Abende waren für die Eleven der Akademie des Tanzes an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Mannheim im Rahmen der städtischen Kurpfalzkonzerte reserviert. Und die Ballettkompanie von jenseits des Rheins brachte mit ihrer prachtvollen Bühnenkunst auch diesmal das dicht gedrängte Auditorium im Saalbau regelrecht zum Toben.

In atemraubender, gleichwohl durchdachter szenischer Abfolge wirbelten die knapp 30 Beinpaare zu den denkbar entlegensten Schauplätzen der Tanzkunst; wirbelten, beginnend mit der klassisch gediegenen „Soirée musicale“, Tutu und Spitzenschuh bewehrt – die salontaugliche Musik dieser Rossini-Paraphrase stammt, kaum will man’s glauben, von Benjamin Britten (Choreographie: Kenneth MacMillan) –, bis zum asiatisch animierten, allein von Trommelschlägen angetriebenen „Chikara“ (Choreographie. Eric Gauthier) quasi allumfassend durch das spektrale Wunderland körperlicher Ausdruckskraft. Nicht zuletzt der Humor brach sich kräftig Bahn: Die „Baltischen Polkas“, die Alexandre Kalibabchuk nach lettischer Tanzfolklore in teils derb witziger Manier choreographiert hatte, versprühten Temperament und eine Vielzahl ironischer Gags, waren gespickt mit beifallheischenden Solo-Einlagen, wobei ein Tänzer den anderen an Rasanz, Verwegenheit und Tempo zu übertreffen schien. Jubel im Publikum. Emotionen ganz anderer Art transportierte „Uni Text“ – eine Uraufführung übrigens – über die Rampe: Zu knallharten Techno-Rhythmen formierte, vereinzelte, teilte und formierte sich erneut die in Jeans und T-Shirt-Outfit gewandete 13-köpfige Gang in einer provokant auffordernden Körpersprache. Ein starkes Stück Aktualität, das bildstark mit den Begriffen Wahrnehmung, Gruppenverhalten, Abgrenzung spielt. Es stammte aus der choreographischen Feder von Young Scoon Hue. Und jeweils parierten die jungen Tänzerinnen und Tänzer die hochgesteckten Ansprüche mit einem Maximum an Perfektion und körperlichem Einsatz, der glauben machte, nichts sei leichter als derart physische Exaltation. Dabei war allein schon die stilistische Bandbreite zwischen klassischem Spitzentanz der anmutigsten Art und den bizarren, teils mit zirzensischer Akrobatik nur so gespickten Szenen der Gattung Ausdruckstanz schon ein Spagat für sich. Zwischen den Tutti-Nummern, deren optisch fantastische Ausstattung im Übrigen den ästhetischen Augenschmaus zusätzlich würzten (Kostüme: Heike Kehl), waren kurze, von den Tänzer selbst choreographierte Solo-Nummern von jeweils sehr eigenwilliger Ausprägung platziert, prägnante Charakterstudien aus dem Modern-Dance-Bereich, die den Scheinwerfer – konkret und im übertragenen Sinne – sehr gezielt auf die scheinbar unerschöpfliche Bandbreite menschlicher Kommunikation mittels Körpersprache richteten. Das gelang eindrucksvoll Giuseppe Sorrentino etwa mit „The Thing“ oder auch dem biegsamen Chihio Matsubara mit „Kokoro“. Sich Kota Nakao bei „Formidable“ nach einem Chanson von Charles Aznavour kokett geschmeidig durch Paris tanzend vorzustellen, fiel nicht schwer. Dagegen gelang es kaum, sich der geradezu soghaften mystischen Dichte in den recht gegensätzlichen Ausdrucksspektren von Angela Welz („Viertel vor“) und Quirin Brunhuber („Chamäleon“) zu entziehen. Und auch das fehlte nicht: Ein wenig Broadway-Flair, eingefangen mit Pat Ballards „Mr. Sandman“ und einer raffiniert ausformulierten Choreographie von Jonathan dos Santos mit drei fantastisch interagierenden Tanzpaaren. Nach der gut einstündigen Performance, prall gefüllt mit fantastischen Ideen, bewegend und bewegt auf die Bühne gebracht durch eine rundweg überzeugende Nachwuchs-Kompanie wollte der frenetische Beifall nicht enden.

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