Pirmasens „Dat Jeföhl, wie op da Durchreis“

40 Jahre „Bap“ feiert Wolfgang Niedecken in diesem Jahr. 80 Konzerte wird die Tournee bis zum Jahresende umfassen. Dabei kam Niedeckens „Bap“ – so heißt die 1976 gegründete Kölner Mundartrockband heute – auch in die fast ausverkaufte Saarbrücker Saarlandhalle.

Der Bühnenhintergrund ist schön: Es setzt sich aus allen Platten- und CD-Covern zusammen, die „Bap“ veröffentlichte. Mit einer Best-of-Auswahl beglücken Niedecken und seine Mitmusiker das Publikum. Die sechsköpfige Band – leider fehlt Percussionist Rhani Krija – spielt aus jedem Album mindestens einen Song. Los geht es mit leichter Muse. Auf „Frau ich freu mich“ folgt „Ne schöne Jrooß“. Während seiner akustischen Tour – unter dem Motto „Das Märchen vom gezogenen Stecker“ – hatte Niedecken die Vorzüge von Konzerten in bestuhlten Hallen erkannt. Der Protagonist, nun 65 Jahre alt, will seinem Publikum nicht mehr zumuten, bei dreistündigen Konzerten pausenlos zu stehen. Das Saarbrücker Publikum erhebt sich aber schon beim ersten Refrain. Es wird meist nur noch während Balladen Platz nehmen. Die Bühnenbilder der Tournee passen zum Rückblick auf vier Jahrzehnte Rockmusik. Mehrmals werden alte Videos eingespielt. Man kann dabei wunderbar in die Gefühlswelt von einst eintauchen. Weil 195 ununterbrochene Konzertminuten viel Raum für Musik lassen, kommt die aktuelle CD „Lebenslänglich“ ausführlich zum Zuge: fünf Stücke im Block. Sie beweisen, wie nah Niedecken auch im Rentenalter am Puls der Zeit ist. Die Zeilen zu „Absurdistan“ schrieb er im Winter 2014/2015. Er habe sich da nicht vorstellen können, „dass tatsächlich dieser skrupellose Kotzbrocken Präsident der Vereinigten Staaten werden könnte“. „Viel zu lange ha’m wir alle akzeptiert, dass man Fakten einfach ignoriert“, klagt der mehrfach für sein Lebenswerk Ausgezeichnete angesichts von Hungersnöten, Inflation und Gotteskriegen. Dem Sänger mag in „Vollkasko Desperado“ ein Fan vorwerfen, dass „Bap“ früher besser gewesen sei, „weil politischer“. Das stimmt aber nicht. Nach dem CD-Vorgänger „Zosamme alt“ ist Niedecken wieder bissig geworden. Er peitscht sein Publikum in eine treibende Version der „Kristallnaach“. Sie endet bedrohlich: mit einem Schlagzeug, dessen Takt an ein Erschießungskommando erinnert. Es kann kein Zufall sein, dass im Anschluss „Arsch huh, Zäng ussenander“ folgt. So donnernd wie jetzt klangen Niedeckens Zeugnisse gegen rechte Gewalt lange nicht mehr. Mit „Verdamp lang her“ und nach 135 Minuten gleitet „Bap“ in den Zugabenblock, der eine ganze Stunde dauert. Das Pulver an beliebten Liedern ist da noch längst nicht verschossen. In „Alexandra, nit nur do“ tobt sich Sönke Reich, der Neue am Schlagzeug, mit einem beeindruckenden Solo aus. Und nicht nur in „Amerika“ setzt Ulrich Rode mit seiner Gitarre tiefgreifende Akzente. Niedeckens aktuelle Band besteht aus herausragenden Könnern ihres Fachs. Michael Nass, hauptsächlich für Tasteninstrumente zuständig, ist auch an Gitarre und Akkordeon versiert. Werner Kopal greift im Balladenblock zum Kontrabass. Anne de Wolff spielt Geige, Bratsche, Cello, Harmonium, Vibrafon, Posaune, Gitarre und Ukulele. Diese von Hand gemachte Klangvielfalt erreichen bei Konzerten nur noch sehr wenige Interpreten. Niedecken hat zudem das ihn seit Jahrzehnten auszeichnende Timbre nicht verloren. Viele seiner Songs sind mit ihm gereift – oder brandaktuell geblieben. Die traurige Ballade von Jupp hat der Kölner schon zu Beginn von „Bap“ geschrieben. Sie entfaltet in Saarbrücken eine kaum zu übertreffende akustische Wucht. Niedecken weiß, dass seine Geschichte nach 40 Jahren Musik nicht unendlich weiter gehen kann. „Wenn wir uns anstrengen und ein bisschen diszipliniert sind – das gilt vor allen Dingen für mich – dann schaffen wir vielleicht auch noch das halbe Jahrhundert. Aber ich wäre dann 75.“ Zum berührenden Schluss gibt es wohl deshalb „No all dänne Johre“. Da heißt es: „Und dat Jeföhl, wie op da Durchreis, Irjendwo zwesche Start un Ziel.“ Hoffentlich ist Niedeckens Ziel noch weit, weit weg.

x