Pirmasens Ein blinder Schmetterling

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Liebeskummer, finanzielle Nöte, die ganz großen Gefühle. Bei Giacomo Puccinis „Madame Butterfly“ war die Pirmasenser Festhalle am Mittwochabend gefüllt wie lange nicht bei einer Opernaufführung. 500 Opernfans waren gekommen, sogar mit Reisebussen angereist, um sich aus einem tristen Novembertag heraus in die Welt Japans entführen zu lassen und zu leiden mit Madame Butterfly, die als einzige nicht zu wissen scheint, was um sie herum gespielt wird.

Denn Puccinis Oper „Madame Butterfly“ erzählt von zwei Lebensplänen, die einfach nicht zusammen passen wollen, von zwei Egozentrikern, die nur ihre Realität wahrhaben. Das Tragische ist: alle wissen das – außer Butterfly. „Haltet ein“, würde man am liebsten in die Handlung eingreifen, die von Beginn an als Tragödie angelegt ist. Denn im Grunde erzählt die Oper nichts anderes als die Geschichte von einer gemieteten Frau, der man wieder kündigen kann. Diese Regelung gab es damals in Japan wirklich, war aber im Grunde der Versuch, die Prostitution zu legalisieren. So verwundert es nicht, wenn Marineoffizier Benjamin Franklin Pinkerton seine japanische Schönheit „Spielzeug“ nennt, und schon gleich bei seiner Hochzeit auf seine künftige „richtige Ehe“ mit einer amerikanischen Frau anstoßen will. Fasziniert ist er natürlich von der Frau, ein wenig verliebt mag er auch sein, doch bleibt sie für ihn ein temporärer Zeitvertreib. Butterfly hingegen will nach Amerika, weil sie es in ihrem Land nicht mehr aushält: ihre Familie ist verarmt, nachdem ihr Vater zum Selbstmord gezwungen wurde. Sie ist ihr Dasein als Geisha leid. In der Ehe mit dem Amerikaner Pinkerton sieht sie ihr Ticket in die Freiheit. Außerdem gefällt ihr, dass in Amerika die Ehe mehr zu zählen scheint wie in Japan. „Willkommen in einem amerikanischen Haus“, empfängt Hye Min Jung in der Rolle von Cio-Cio-San, weltbekannt als Madame Butterfly, den amerikanischen Konsul Sharpless (Otar Nakashidze) bei sich zuhause und bietet ihm eine Zigarette an. Grenzenlose Freiheit hat sie sich von ihrer Heirat mit Pinkerton versprochen, doch der will ihr eigentlich die ganze Zeit nur verkünden, dass Pinkerton die Trennung will. Hye Min Jung brillierte in der Rolle der „Butterfly“, einer der anspruchsvollsten Sopranrollen überhaupt. Sie brachte die starken Emotionen einer liebenden und letztendlich gebrochenen Frau mit großer gesanglicher Präsenz auf die Bühne und brillierte auch mit ihrer darstellerischen Ausstrahlung. Ihre große Arie „Eines Tages sehen wir“ brachte ihr sogar Bravo-Rufe des Pirmasenser Publikums ein. Mit nur wenigen Requisiten und dezenten Lichteffekten inszenierte Corinna Boskovsky das Japan um 1900. Schneebedeckte Berge, Kirschblütenzweige, japanisches Design ergeben das Bühnenbild, farbenfrohe Kimonos die Kostüme. Ein wesentliches Detail, dass zur authentischen Atmosphäre der Oper beiträgt, ist, dass alle japanischen Rollen der Oper mit Asiaten besetzt waren. Und die japanische Schiebetüren-Kultur erzählt die Geschichte optisch auf schlichte, aber eindrückliche Weise. Denn die veränderbaren Räume, die den jeweiligen Bedürfnissen angepasst wurden, spiegeln hervorragend, dass es für Butterfly keinen Raum gibt im Leben von Pinkerton. Ihre Welt schiebt sich regelrecht zu, zwingt sie zu ihrem Freitod. Die Wandlung der Protagonistin, die nun auch außerhalb der Kulturen lebt, zeigt ihre Haarpracht. Ist sie anfangs traditionell frisiert, sind ihre Haare zum Ende hin gelöst – aufgelöst wie Butterfly selbst. Zum besseren Verständnis der auf italienisch gesungenen Oper standen links und rechts der Bühne große Schautafeln, über die der Text der Handlung flimmerte: weiß auf schwarz. Mal die Geschichte in knappen Worten, mal der Dialog, der gerade gesungen wurde. Wie beim Stummfilm Mimik und Gestik der Schauspieler mit Text auf Zwischentafeln unterlegt wird, ist bei der Inszenierung der Compagnia d’Opera Italiana di Milano die italienische Oper ins Deutsche übersetzt. Es ist kaum vorstellbar, dass die Uraufführung von Puccinis „Madame Butterfly“ an der Mailänder Scala 1904 in einem Fiasko endete. Der Komponist zog die Oper erst einmal zurück, verteidigte sie trotzdem von Anfang an als „die gefühlteste, ausdrucksvollste Oper“, die er je geschrieben hat. In Pirmasens war von all dem natürlich nichts zu spüren, gehört die Oper inzwischen zu den erfolgreichsten weltweit. Die Puccini-Oper steht für emotionale Dichte und wunderbare Musik. Und die lieferten die Solisten und der Chor der Compagnia d’Opera Italiana und das Orchester der Staatsoper Rousse. Gemeinsam schenkten sie dem Pirmasenser Publikum einen tief berührenden Abend, das sich dafür stehend mit Ovationen bedankte.

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