Pirmasens Ein facettenreicher Blick auf die Familie

Bezaubernd und entzaubernd zugleich: Die Schauspielerin Felix S. Felix thematisiert die liebe Verwandtschaft. Ihr Spiel wurde vo
Bezaubernd und entzaubernd zugleich: Die Schauspielerin Felix S. Felix thematisiert die liebe Verwandtschaft. Ihr Spiel wurde von Armin Sommer musikalisch begleitet.

Im Laufe des musikalisch-literarischen Familienfests des Chawwerusch-Theaters bewegte sich das Stimmungsbarometer am Samstag von heiter bis niederschmetternd. Im nicht ganz vollbesetzten Kultursaal des Rodalber Lederer-Hauses präsentierte die Schauspielerin Felix S. Felix mit „Bucklig Verwandtschaft“ eine packend-unterhaltsame Lesung, die musikalisch von Armin Sommer begleitet wurde.

Die Verwandtschaft – nahestehende, verschwisterte und verschwägerte Lebensbegleiter – hieß es da, erreiche seit der Vertreibung aus dem Paradies einen großen Umfang. Sie weiß alles von allen und steckt ihre Nase garantiert in deine Angelegenheiten. Nun gibt es die liebe Verwandtschaft, die man schätzt, und die Verwandtschaft, die man halt anhängen hat. Unter Letztere fällt wohl die „Bucklig Verwandtschaft“, die die Schauspielerin des Chawwerusch-Theaters anhand von ausgewählter Literatur von Goethe bis Ernst Jandl und Michael Bauer plastisch werden ließ. Aus Mosaiksteinen entwickelte sich schließlich ein Gesamtbild mit knappen Aussagen zu Dankbarkeit für Mühen und Opfer (Tucholskys „Mutterns Hände“), einigen heiteren Szenen (Michael Bauers „Die Günnegüggel Famili“) und ganz vielen kritisch und nachdenklich stimmenden Aufnahmen. Dabei führte der Weg von der Kindheit bis hin zum Lebensende. Die Erschwernisse der Kindheit etwa erlangten Ausdruck in Geschichten wie „Als Kind sagte Dorst die Wahrheit“ (Annette Pehnt) und „Dorst hat Oma nicht lieb“. „Die Klügere gibt nach“, ein eigener Text von Felix S. Felix, handelt von Eifersucht und Streit unter Geschwistern („Mein Zimmer ist kleiner, die Familie aber größer geworden“). Ernst Jandls „Vater kommt“ prangert die Gewalt an, wenn der Verstand aussetzt. Unter den Texten der Vorleserin fand sich auch Goethes „Erlkönig“, eine klassische, naturmagische Ballade mit ihrer metaphorischen Bedeutung des Kindtods. Trügerische Familienidylle entlarvt Nora Gomringer auch in ihrem Gedicht „Daheim“. Ihr ist es gelungen, aus dem Schatten ihres Vaters Eugen Gomringer heraus zu treten, der als Erfinder der konkreten Poesie gilt. Ihr Gedicht, das – nebenbei angemerkt – an den Ursprung der Lyrik, den Gesang, erinnert, ist ein „allerschnellstes Gedicht“, das ohne Worttrennung auskommt. Hier verschmelzen vermeintliche Idylle und zerstörerische Verstrickungen: „Mamasloverundpapasblondeundpapasblondeshellesundmamastabletten…“. Fast befreiend tauchte in der Lesung „Die Günnegüggel-Famili“ von Michael Bauer auf mit ihrem verschmitzten Blick auf das Multikulti-Miteinander von „Monster Mugge und blonder Heidi“, das nach chaotischem Trab durch Irrungen und Wirrungen mit dem Sieg der Liebe endet. „Suchen und Finden“ hätte der zweite Teil nach der Pause überschrieben sein können. Die Vorleserin suchte nach Antworten auf die unverständliche Nazi-Vergangenheit des Großvaters bei Ferdinand von Schirach und nach Motiven für die Ablehnung der Tante in dem Text von Julio Cortazar „Sie hassen Tante Auguste“. Bei Arno Geiger („Der alte König in seinem Exil“) fand die Schauspielerin Hinweise zum Verstehen von Demenzerscheinungen. Schließlich hörte das Publikum die Geschichte „Ich habe meine Tante geschlachtet“ von Franz Wedekind unter dem Titel „Der Tantenmörder“. Was so grausam daher kommt, wirkt allerdings gar nicht schmerzlich, wenn es als Parodie auf „die grelle Sprache und die grellen Bilder von Sensationsdarstellung“ verstanden wird. Armin Sommer begleitete die Lesung mit „Etagerenmusik“, spielte unter anderem auf Porzellangeschirr, das auf mehreren Ebenen an Gestellen hing. So kam untermalende, sphärisch-anmutende Musik zum Klingen. Niveauvoll, anspruchsvoll, abwechslungsreich und auch packend: Das „literarisch-musikalische Familienfest“ unterhielt das Publikum eineinhalb Stunden lang mit Stücken und Geschichten, die viele Impulse zum Verarbeiten der eigenen Geschichte setzten. Die geforderte Zugabe zeigte ganz klar, dass die Lesung dem Publikum gefiel.

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