Pirmasens In Rucksack der Kinder stecken ungeahnte Erlebnisse

Pflegefamilien sind gesucht, auch in der Südwestpfalz.
Pflegefamilien sind gesucht, auch in der Südwestpfalz.

Du hast eine Bauch-Mama und eine Herz-Mama. Mit diesen Begriffen erklärt Sibille Schmidt ihren Pflegekindern, dass sie sehr wohl genauso zur Familie gehören wie ihre leibliche Tochter. Seit 2009 hat sie mit ihrem Mann Thomas eine Pflegefamilie gegründet, auch wenn anfänglich mehr aus einer privaten Notwendigkeit heraus. Weil sie innerfamiliär weiterhelfen wollten.

Inzwischen hat das Paar sogar vier Pflegekinder. Ihre wirklichen Namen wollten die Schmidts nicht in der Zeitung lesen. Sie sind von der Redaktion geändert. Das erste Pflegetöchterchen war gerade mal zwei oder drei Wochen alt, als es zu der auserkorenen Pflegefamilie kam. Inzwischen ist Lena zehn. „Eine kurze Weile hat es schon gedauert, bis ich in der Rolle drin war“, gesteht die 49-jährige Pflegemutter. Weil die Schwangerschaft fehlte und ihre leibliche Tochter Helene damals bereits neun Jahre alt war. Mit Helene gab es glücklicherweise nie Probleme. Sie fand die Idee, eine kleine Schwester zu bekommen, von Anfang an super gut, erzählen die Eltern. Doch schon bald stand der Herzenswunsch von Pflegekind Lena im Raum, noch ein „Herzenskind“ in der Familie zu haben. Sibille und Thomas Schmidt überlegten – und sagten ja. Ihnen gefiel die Idee immer mehr, Kindern zu helfen und ihnen ein glückliches Zuhause zu schenken. So kam Emma mit drei Jahren zu den Schmidts. Inzwischen ist sie sieben und Lena und Emma seien ein eingeschworenes Team, erzählen die Pflegeeltern. Doch es sei nicht immer leicht gewesen, sagen die Eltern gewissermaßen im Chor. „Man muss sich darüber im klaren sein, dass die Kinder einen Rucksack an Erlebtem mitbringen, von dem man nichts weiß“, meint die Pflegemama. Ihre Pflegetochter Emma zum Beispiel litt anfangs sehr unter Schlafstörungen und war ziemlich aggressiv. Eine solche Situation betreffe dann eben gleich alle Familienmitglieder, sagt der Vater. Beide waren heilfroh, dass sich die emotionalen Ausbrüche der Kleinen bald legten. Doch das gute Gefühl, in einer Familie zu leben, in der sich alle akzeptieren und tolerieren, überwiegt bei den Schmidts – trotz des erhöhten Pflegebedarfs ihrer Kinder. Außerdem habe man bei leiblichen Kindern auch keine Garantie, wie sie sich entwickeln, findet Thomas Schmidt. Als die inzwischen zweifachen Pflegeeltern noch einmal darüber nachdachten, etwas Kleines zu wollen, war der Gedanke an ein eigenes Kind bald ad acta gelegt. Sie entschieden sich, ein weiteres hilfsbedürftiges Kind in ihre Familie aufnehmen, erzählen sie. Dass es dann Zwillinge wurden, ergab sich einfach. Sie seien Frühchen gewesen, erzählt Sibille Schmidt. Von außerordentlicher Bedeutung ist es für Sibille und Thomas Schmidt, mit den leiblichen Eltern einen guten Kontakt aufzubauen. „Man kann schließlich nicht auf der Misere anderer Leute sein eigenes Glück aufbauen“, findet Thomas Schmidt. Das gelingt dem Paar gut, auch wenn sie es mit drei Pflegeeltern aus unterschiedlichen Städten zu tun haben. „Für die leiblichen Familien der Kinder basteln wir immer Fotobücher, mal aus dem Urlaub, mal aus alltäglichen Schnappschüssen.“ Das beruhige und tröste die leiblichen Mütter enorm, ergänzt Thomas Schmidt. „Die Erinnerung an die gemeinsamen Urlaube gehört zu den schönsten, die ich habe“, erzählt der überzeugte Pflegevater, der als Techniker in einer Firma angestellt ist. Es sei einfach schön, mit einer siebenköpfigen Familie unterwegs zu sein, erzählt er. Dass die leiblichen Eltern von Lena und Emma Rückführungsverfahren anstrengten, um die Kinder zurückzubekommen – gerade als die sich gut eingelebt hatten –, war für die Schmidts das Schlimmste, was ihnen als Pflegeeltern passiert ist. „Das war zermürbend für alle“, erinnert sich Thomas Schmidt, der, wie seine Frau, von einer Dauerpflege ausgegangen war. Natürlich sei die Position der leiblichen Eltern verständlich. Letztendlich sind beide Mädchen bei den Schmidts geblieben. Doch mitgenommen hat sie das Hin und Her trotzdem. In Pirmasens gebe es momentan 80 Pflegekinder, informiert Bettina Baas-Wafzig vom Pflegekinderdienst des Pirmasenser Jugendamts. Wie viele Pflegefamilien aktiv sind, weiß sie nicht auswendig, weil es - wie bei den Schmidts - Doppelbelegungen gebe. Der Bedarf sei in den letzten Jahren in etwa gleich geblieben. Doch Pflegefamilien seien immer gefragt, sagt Susanne Schütz vom Pflegekinderdienst. Angst vor der Verantwortung brauche niemand zu haben. „Wenn etwas passiert und wir nicht weiter wissen, haben wir nicht nur uns beide“, erzählt Tobias Schmidt. Die Ansprechpartnerinnen vom Jugendamt seien eben auch immer da. Es sei ein eindeutiges Plus, auf die Erfahrungen der warmherzigen Frauen des Pflegekinderdiensts zurückgreifen zu können, betonen die Eltern. Eine Pflegefamilie wird auch finanziell unterstützt. Pro Kind und Monat erhält eine Familie circa 700 bis 900 Euro. Das staffle sich nach dem Alter der Pflegekinder, ergänzt Tessa Werle vom Allgemeinen Sozialen Dienst. Außerdem gebe es Seminare, um sich in die neue Situation einzufühlen, sagen die Eltern, die jederzeit wieder diesen Schritt tun würden, „fremde“ Kinder bei sich aufzunehmen. INFO Wer sich dafür interessiert, Pflegekinder aufzunehmen, kann sich mit Bettina Baas-Wafzig oder Susanne Schütz unter Telefon 06331/877247 beziehungsweise 06331/877253 in Verbindung setzen.

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