Pirmasens Von aufwühlender Intensität

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Mit förmlich aufwühlender Intensität haben der Pirmasenser Cellist Julian Steckel und sein langjähriger Partner am Klavier Paul Rivinius am Sonntag in der mit 350 Besuchern gut besetzten Pirmasenser Festhalle eine Cello-Klavier-Soiree gegeben, die jenen, die dabei waren, noch lange mit guten Gefühlen im Gedächtnis bleiben wird.

Man muss es sich immer wieder ins Gedächtnis rufen: Technisch erstklassige Musiker sind keine Nachricht wert, auf professionellem Niveau gibt es kaum mehr andere – man werfe einen Stein und man trifft zehn. Aus diesem Grunde ist es auch geradezu langweilig, wenn immer wieder auf virtuoses Spiel als besonders erwähnenswertes Merkmal verwiesen wird und damit eben nur eine überragende technische Meisterschaft, meist besonders flinke Geläufigkeit, angesprochen ist. Über diese Möglichkeiten verfügen Julian Steckel und Paul Rivinius mit größter Selbstverständlichkeit. Natürlich – muss man sagen –, denn Technik auf höchstem Niveau muss sein, wenn man sich in der Spielklasse bewegt, wie es diese beiden Musiker tun. Ihre Meisterschaft, die man in der Festhalle buchstäblich erleben durfte, transzendiert Virtuosität aber auf eine ganz andere Ebene. Bei Steckel und Rivinius gibt es an keiner Stelle auch nur ansatzweise oberflächliche Hochglanzpolitur, alles, wirklich alles ist Substanz, Inhalt und Urgrund. Mit dem Eröffnungsstück, der „Cello-Sonate Nr. 1 B-Dur op.45“ des damals 26-jährigen Felix Mendelssohn-Bartholdy, huldigten die beiden Musiker einer Lied-Poesie ohne Worte. Schon mit den ersten Tönen ist erkennbar, dass hier zwei Meister der musikalischen Web-Kunst zu Werke gehen – keines der an diesem Abend gespielten Stücke darf man sich als Cello solo mit Klavierbegleitung vorstellen. Vielmehr herrscht eine Kultur von Rede und Gegenrede; das Piano mag eine Idee vorstellen, das Cello spinnt sie weiter, gibt neue Gedanken zurück. Bei Mendelssohn-Bartholdy entsteht ein mit Melancholie getöntes heiteres Lied von ungeheurer Farbigkeit. Hochbetagt hat Camille Saint-Saëns seine „Cellosonate Nr. 2 in F-Dur op. 123“ geschrieben. Der Meister des musikalischen Stoizismus gönnt sich nicht nur im langsamen Satz der „Romanza“ Emotionen bis fast zur Sentimentalität, die dafür empfängliche Naturen zu Tränen rühren können. Hinreißend, wie Steckel und Rivinius den aufwühlenden letzten Satz in einer Weise steigern, als gäbe es kein Morgen mehr. Eher gefühlt denn letztlich belegbar ist der Eindruck, dass sogar das Cello hier dynamisch Grenzen erreicht. Steckel spielte am Sonntag nicht sein gewohntes, unglaublich differenziertes Urs-Mächler-Instrument, sondern ein anderes Cello, das in den dynamischen Grenzlagen komprimierte. Dieser Eindruck kann aber auch dem jeweiligen Hörplatz im Parkett geschuldet sein. Emotionale Wechselbäder dann auch beim Hauptwerk des Konzerts nach der Pause, Sergej Rachmaninows „Sonate g-Moll op.19.“ Rachmaninow selbst soll es nicht als dezidierte Cello-Sonate aufgefasst haben, sondern als Werk, in dem beide Instrumente gleichberechtigt zu Wort kommen, was sich auch im Konzert nachvollziehen lässt. Themen und Ideen werden häufig vom Piano vorgestellt, das Cello nimmt sie auf, spiegelt zurück. Noch viel öfter spinnen Steckel und Rivinius die Stimmen wie zu einem Kokon zusammen, der schließlich aufbricht und einen Schmetterling freigibt. Steckel und Rivinius gehen meisterhaft mit den extremen Stimmungsschwankungen um, im zweiten Satz „allegro scherzando“ zum Beispiel, wo sich unheilvolle, ja depressive Töne in geradezu verzweifelter Vitalität entladen, um dann wieder in Hoffnungslosigkeit zu ermatten. Steckel und Rivinius kosten bei Rachmaninow alle ihnen zu Gebote stehenden Möglichkeiten emotionaler Steigerung und Stimulation aus. Rachmaninows „Vocalise“ als Zugabe beruhigt den Aufruhr der Gefühle mit versöhnlicheren Tönen.

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