Speyer „Alles ist ein Gedicht wert“

Sandra Trunk ist eine besondere Frau – besonders in vielen Hinsichten und dabei ganz normal. Die 30-Jährige ist sportlich, häufig verliebt, schreibt ein Gedicht zu jedem Erlebnis und Gefühl. Sie liebt Filme aus den 50er Jahren, „Miss Marple“ und ihre Familie. Am 22. Dezember 1983 hat Sandra Trunk ein Schädel-Hirn-Trauma erlitten. Zurückgeblieben ist eine geistige Behinderung.

„Der 17. Lebenstag unserer Tochter hat das Leben unserer Familie entscheidend verändert“, erzählt Ursula Trunk von dem Sturz ihres Babys auf die Treppe, von dem sich Sandra nie wieder ganz erholt habe. Die ältere Schwester habe diesen Schicksalsschlag ebenso verkraften müssen wie Eltern und Großeltern. „Der kleine Bruder war noch nicht auf der Welt.“ „Ich weiß nicht, ob ich Ihnen ein gesundes oder ein mehrfach behindertes Kind in die Arme lege“, habe der behandelnde Arzt ihr nach sechs Wochen Krankenhausaufenthalt mit auf den Weg gegeben, erinnert sich Ursula Trunk an Worte, die wie Schläge auf sie gewirkt hätten. Die Unfallfolgen hätten sich Jahr für Jahr stärker bemerkbar gemacht, schildert die Mutter die unausweichliche Erkenntnis: „Unsere Tochter ist behindert.“ Eingebettet in die Liebe ihrer Familie habe sich Sandra viel zugetraut und ihren Hauptschulabschluss geschafft. Auch die Ausbildung zur Bäckerin habe sie erfolgreich beendet. „Mit der Arbeit in einem regulären Betrieb wäre sie aufgrund ihrer speziellen Problematik aber nie zurecht gekommen“, erklärt die Mutter die Eingliederung ihrer Tochter in die Werkstatt für behinderte Menschen in Ludwigshafen-Maudach. Bis heute arbeitet Sandra Trunk beim Bügelservice in der Speyerer Außenstelle. „Bei der besten Chefin der Welt“, sagt sie. „Für neue Ideen bin ich gut“, weist sie auf entsprechende Erfahrungen im Geschäftshaushalt der Eltern hin. Ihr Berufswunsch Polizistin habe sich nicht erfüllt, sagt Sandra Trunk mit leichtem Bedauern in der Stimme. Über ihre Einschränkungen kann sie mit der Familie sprechen und sie in Gedichten verarbeiten. Viel Dankbarkeit und Verständnis bringt sie für ihre Eltern auf: „Ein behindertes Kind bleibt ein Kind“, betont sie. Vor neun Jahren sei sie aus dem Elternhaus in Schifferstadt zur Lebenshilfe nach Speyer gezogen, erzählt sie. Zunächst lebte sie in einer Wohngemeinschaft, inzwischen ist sie alleine in einer Wohnung. „Sandra hat mit Unterstützung der Lebenshilfe eine tolle Entwicklung gemacht“, betont die Mutter. „Das hätte vor zehn Jahren niemand von uns gedacht.“ „Was ich erlebe, wovon ich träume, was mich glücklich oder traurig macht: Alles ist ein Gedicht wert“, sagt Sandra Trunk. Für manchen Streit mit der Mutter habe sie sich am Telefon in Reimen entschuldigt, erzählt sie. Der Tod des geliebten Urgroßvaters sei es gewesen, der ihre lyrische Begabung offenbart habe. „Ich habe mir meine Trauer von der Seele geschrieben. Seitdem dichte ich.“ Einen Plan dafür habe sie nicht, sagt sie. „Wenn der Gedanke da ist, fließt es ganz spontan aus mir heraus.“ Ungefähr 140 Gedichte habe sie inzwischen geschrieben – sehr persönliche und 50, die jetzt als Buch erschienen sind. „Es stimmt, ich bin unter die Autoren gegangen“, sagt Sandra Trunk lachend. „Gemälde und Gedichte“ heißt der Band, den sie gemeinsam mit Künstlern der Lebenshilfe-Malgruppe „Molemol“ gefüllt habe. Die junge Speyererin ist froh über ihr dichterisches Talent, über ihre Sportlichkeit und das Leben, das sie weitgehend unabhängig führen kann. „Aber ich habe etwas, das noch viel mehr wert ist“, sagt sie. „Die beste Familie der Welt.“ Von ihr sei sie nie alleine gelassen worden, an sie könne sie sich in jeder Lebenslage wenden, bei ihr fühle sie sich geborgen. Auch Sandras Mutter ist stolz auf ihr besonderes Kind: „Ohne Sandra wäre unser Leben ärmer“, sagt sie. „Gemälde und Gedichte“, Buch der Lebenshilfe Speyer-Schifferstadt mit Beiträgen der Malgruppe „Molemol“ und von Sandra Trunk. Der Band ist in der Geschäftsstelle, Herdstraße 1, in Speyer, erhältlich.

x