Speyer Ansatz mit Adrenalin

„Hans Purrmann, als Europäer betrachtet“: Zu diesem Thema hat der Kunstkritiker Walter Grasskamp von der Münchner Akademie der Bildenden Künste die Festrede zur Verleihung der Purrmann-Preise am Samstag in Speyer gehalten. Ganz leicht anheben wolle er den Adrenalinpegel seines Publikums mit der Ankündigung, Purrmann vor allem als Migranten zu behandeln, sagte der Redner. Schließlich ist Migration „ein wichtiges Thema geblieben und wird es auch noch länger bleiben, als wir vielleicht ahnen“, wie er ausführte. Sicher keine zu gewagte Behauptung: 202.000 Menschen suchten im vergangenen Jahr in Deutschland Schutz – die meisten aus Syrien, Serbien und Eritrea. Erst am Freitagabend ertranken mindestens sieben Bootsflüchtlinge vor der türkischen Mittelmeerküste (RHEINPFALZ am SONNTAG berichtete). Nicht zuletzt die Erklärungsversuche der Pariser Terroranschläge vom 7. Januar drehen sich um die Frage der Identität von Migranten und Flüchtlingen. Anhand von Purrmanns Lebensstationen entwickelte Grasskamp sein Thema: So stellte er die „Bildungsmigration“ zu Beginn des 20. Jahrhunderts dar, als nicht nur offizielle Akademien Migranten nach Paris lockten, sondern auch das Milieu der Bohème Anziehungskraft entfaltete. Dass die in New York lebende Künstlerin Loretta Fahrenholz ihren Preis am Samstag nicht persönlich entgegennahm, überträgt im Grunde den Gedanken der Bildungsmigration in die Gegenwart. Zum Zeitpunkt des Festaktes saß sie gerade im Flugzeug nach San Francisco. Der Versuch, sie kurzfristig per Video zuzuschalten, gelang nicht. Fahrenholz will aber in den nächsten Wochen nach Speyer kommen, die Ausstellung besuchen und sich mit Mitgliedern der Familie Purrmann treffen. Purrmanns letzte Migration – in die Schweiz – war der Not geschuldet, als die Lage in seinem Gastland Italien sich 1943 verschärfte. Zumindest aber gelang sie ihm – im Gegensatz zu vielen seiner Künstlerkollegen damals und viel zu vielen Flüchtlingen heute.

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