Kulturspiegel Barockoper: Festivals in historischen Theatern

Max Emanuel Cencic hat bei seinem Festival Bayreuth Baroque Porporas „Ifigenia in Aulide“ inszeniert – und singt auch mit.
Max Emanuel Cencic hat bei seinem Festival Bayreuth Baroque Porporas »Ifigenia in Aulide« inszeniert – und singt auch mit.

Seit über 15 Jahren gibt es Barockoper im Winter im Rokokotheater des Schwetzinger Schlosses. Zum fünften Mal gab es nun Barockoper im Markgräflichen Opernhaus bei Bayreuth Baroque mit Poporas „Ifigenia in Aulide“.

Am 7. Dezember singt das Ensemble Nicarus im Dom zu Speyer Vokalmusik der Renaissance zum Advent. In den Reihen der fünf Sänger ist der Altus Terry Wey, der schon vielfach in Speyer aufgetreten ist. Sein nächstes Konzert ist am Samstag um 14 Uhr, dann singt er Barockes, nämlich vier Kammerkantaten von Georg Friedrich Händel in der Schlosskirche in Bayreuth bei der fünften Auflage des Festivals Bayreuth Baroque, das besonders das Markgräfliche Opernhaus, der Unesco-Weltkulturerbe ist, bespielt (www.bayreuthbaroque.de).

Es ist das wohl jüngste europäische Barockfestival in einem historischen Theaterbau, der Winter in Schwetzingen des Theater und Orchester Heidelberg im Rokokotheater des Schlosses ist immerhin schon über 15 Jahre alt (www.theaterheidelberg.de). Und schon vor zwölf Jahren gab es dort Nicola Antonio Porporas bekannteste Oper „Polifemo“, übrigens mit Terry Wey in der Rolle des Aci auf den Spuren des Kastraten Farinelli. Mit „Polifemo“ trat Porpora in London Konkurrenz zu Händel, der andere große Opernunternehmen damals leitete. Drei Monate später gab es den nächsten Streich der Opera of the Nobility mit Porporas „Ifigenia in Aulide“, ebenfalls mit Farinelli und Senesino. Just diese Oper gibt es heuer bei Bayreuth Baroque in der Regie von Festspielleiter Max Emanuel Cencic, der auch den Agamennone singt. Vorstellungen der Produktion gibt es noch am 13. und 15. September um 18 Uhr, die Aufführung am Sonntag ist live im Stream auf arte.tv zu sehen.

Wagner war auch an dem Stoff dran

Das Stück passt übrigens sehr gut nach Bayreuth, denn von der Vertonung des Stoffes von Christoph Willibald Gluck ein bisschen später im 18. Jahrhundert hat Richard Wagner 1847 eine Bearbeitung erstellt, die länger mehr gespielt wurde als das Original.

Cencic, der durch Auftritte und Inszenierungen bei den Karlsruher Händel-Festspielen gut bekannt ist, hat die „Ifigenia“ in einer ernsten, stilistisch universellen, aber wie immer sehr geistreichen Weise in Szene gesetzt. Es verlegt den antiken Stoff diesmal nicht in einen anderen, historisch konkreten Kontext, sondern lässt sich in Giorgina Germanous vielfältigen Bühnenbildern und Kostümen auf die Handlung im Vorfeld des trojanischen Krieges und dessen Hintergründe ein. Er findet dafür mal kunstvoll stilisierte, mal drastisch konkrete Bilder von hoher Suggestionskraft. Im Kern thematisiert die Regie den Gegensatz von Aufklärung und Humanität, für den Achille steht, zu religiösem Fundamentalismus, für den Oberpriester Calcante steht, der immer wieder die Opferung der Ifigenia anmahnt. Diese ist in dieser Deutung ein Spielplan der Göttin Diana, die ja in der Vorgeschichte des griechischen Mythos eine wesentliche Rolle spielt. Diana singt die ganze Partie der Ifigenia. Darstellt wird diese stumm von der Schauspielerin Marina Diakoumakou. Ein spezieller, vieldeutiger Einfall, der zum Nachdenken anregt - wie vieles in dieser packenden Inszenierung. Diese ist alles andere als unsinnlich oder unspektakulär, aber diesmal keine pralle Bühnenshow wie Max Emanuel Cencics Inszenierungen von Vincis „Alessandro nell’Indie“ 2022 in Bayreuth oder Händels „Serse“ 2019 in Karlsruhe. Es gibt auch elementare Elemente antiker Art, wenngleich der Raum diesmal überzeitlich ist. Am Ende gibt es Ahnung von den Schrecken des drohenden Krieges, wenngleich die Oper ja eigentlich gut ausgeht und Ifigenia dem Opfertod entgeht.

Fulminante musikalische Einstudierung

Fulminant ist die musikalische Einstudierung unter Christophe Rousset am Pult seines Ensembles Les Talens Lyrique. Dieser gibt der Partitur des legendären Gesangslehrers und Komponisten ebensoviel Feinschliff wie Innenspannung. Der Vortrag ist erlesen und stets punktgenau in der Vergegenwärtigung der Affekte. Übrigens: Vor genau 30 Jahren kam der prächtige Kostümfilm „Farinelli – Der Kastrat“ heraus. Der wurde in Teilen eben im Markgräflichen Opernhaus zu Bayreuth gedreht. Und das Orchester beim Soundtrack waren Les Talens Lyrique unter Christophe Rousset.

Exzellent ist die Sängerbesetzung: Jasmin Delfs als singende Ifigenia und Darstellerin der Diana bietet äußert feine Töne, aber auch ausdrucksvoll entfaltete Gesangslinien. Sie gibt den Arien der Ifigenia dadurch eine innige, anrührende Aura.

Maayan Licht wandelt als Achille mit großem Erfolg auf den Spuren des Farinelli, denn er singt nicht nur die Bravourarien hochvirtuos, sondern bietet in den Stücken verhalteneren Charakters einen betörend zarten Barockgesang mit superber Tongebung.

Bestechende vokale Gestaltungskraft

Max Emanuel Cencic ließ sich als Agamennone, einst die Partie des Senesino, bei der Premiere wegen Indiposition entschuldigen. Doch davon war schnell nichts mehr zu spüren. Die Bühnenpräsenz des Sängers und seine bestechende vokale Gestaltungskraft entfalten sich auch in dieser Produktion in überwältigender Weise.

Mary-Ellen Nesi bewährt sich als Clitennestra einmal mehr als sichere und wandlungsfähige Sängerin im barocken Genre. Der von den Karlsruher Händel-Festspielen 2023 bekannte italienische Countertenor Nicolò Balducci glänzte in der eher kleinen Rolle des Ulisse durch brillanten Gesang – und Riccardo Novaro stattete den Calcante in der einzigen Partie für eine tiefe Männerstimme mit Beweglichkeit und Wohllaut aus.

Die Produktion wurde bei der Premiere mit Recht bejubelt.

Wie eingangs gesagt, Popora schrieb das Werk, wie den „Polifemo“ für London 1735 als Konkurrent von Händel. Der musste mit dem mutmaßlich Besten kontern, was er als Opernkomponist schuf: „Alcina“ und „Ariodante“.

Porporas „Ifigenia in Aulide“ : Duett zwischen Maayan Licht als Achille und Riccardo Novaro als Calcante.
Porporas »Ifigenia in Aulide« : Duett zwischen Maayan Licht als Achille und Riccardo Novaro als Calcante.
Porporas „Ifigenia in Aulide“ : Maayan Licht als Achille, Jasmin Delfs als Diana/Ifigenia und Marina Diakoumakou als stumme Ifig
Porporas »Ifigenia in Aulide« : Maayan Licht als Achille, Jasmin Delfs als Diana/Ifigenia und Marina Diakoumakou als stumme Ifigenia.
Porporas „Ifigenia in Aulide“ : Maayan Licht als Achille und Statisten.
Porporas »Ifigenia in Aulide« : Maayan Licht als Achille und Statisten.
Porporas „Ifigenia in Aulide“ : Mary-Ellen Nesi als Clitennestra.
Porporas »Ifigenia in Aulide« : Mary-Ellen Nesi als Clitennestra.
Nicolò Balducci als Ulisse in der „Ifigenia“.
Nicolò Balducci als Ulisse in der »Ifigenia«.
Max Emanuel Cencic hat (Mitte) bei seinem Festival Bayreuth Baroque in Porporas „Ifigenia in Aulide“.
Max Emanuel Cencic hat (Mitte) bei seinem Festival Bayreuth Baroque in Porporas »Ifigenia in Aulide«.
„Ifigenia in Aulide“: Das Schlussbild.
»Ifigenia in Aulide«: Das Schlussbild.
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