Speyer „Das ist einmalig“

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Meinung am Montag: Die Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften ist etwas Besonderes. Die kleinste aller Unis gehört allen Bundesländern und dem Bund. In diesem Jahr wird sie 70 Jahre alt. Stefan Keller hat mit dem Historiker Stefan Fisch über das Haus und dessen Besonderheiten gesprochen.

Herr Professor Fisch, wann wurde die heutige Universität gegründet?

Es gibt zwei Gründungsdaten. Am 11. Januar 1947 wurde von Emile Laffon die Verfügung zur Gründung der „Höheren Verwaltungsakademie“ unterzeichnet. Am 27. Mai desselben Jahres, also schon knapp fünf Monate später, begann das Sommersemester. Gegründet wurde sie für den Bereich der damaligen französischen Besatzungszone nach dem Vorbild der École nationale d’administration. ENA ist die Nationale Hochschule für Verwaltung in Paris. Sie ist eine Grande école, die die Elite der französischen Verwaltungsbeamten ausbildet. Und warum erfolgte die Gründung? Dahinter standen drei Überlegungen oder Voraussetzungen: Die Franzosen gingen davon aus, dass es nach den zwölf Jahren Nazizeit in Deutschland keine unbelastete Verwaltung mehr gab. Ziel war, eine demokratisch gesinnte Beamtenschaft heranzubilden. Zweitens wollten die Franzosen ein Mitspracherecht in der Ausbildung und drittens war der Sozialist Emile Laffon, der Gründer und Chef der Militärregierung in der Besatzungszone, in Frankreich im Widerstand aktiv und kannte daher den Gründer der ENA, den Gaullisten Michel Debré. Wie wurde Speyer zum Sitz? Vordergründig, weil die Stadt genau in der Mitte der Besatzungszone lag, die von Remagen bis Lindau reichte. Speyer war aber auch Verwaltungsstadt unter anderem mit LVA, der Oberrechnungskammer, dem Vorgänger des Landesrechnungshofes, der Oberpostdirektion, der Betriebszentrale aller Eisenbahndirektionen in der Besatzungszone sowie weiteren Verwaltungen. Erster Sitz der Akademie war übrigens das Gebäude des heutigen Finanzamts. Was ist das Besondere an der Neugründung? Dass sie ein einzigartiges Modell ist, eine Mischung aus dem deutschen Universitätswesen von Anfang an mit richtigen Universitätsprofessoren sowie dem französischen, stark praxisorientierten Ansatz. Wir haben heute noch rund 100 Lehrbeauftragte aus der Praxis an der Uni. Sie ist nach wie vor eine Besonderheit, weil sie auch eine Universität für Studenten nach dem ersten Studium ist. Direkt nach dem Abitur kann keiner bei uns anfangen. Hat sie sich stetig entwickelt oder gab es besondere Schwierigkeiten? Es gab eigentlich nur eine einzige große Schwierigkeit. Das war das Ende der Besatzungszeit. Die Franzosen hatten die Kosten für die Neugründung den drei beteiligten damaligen Provinzen, also den Vorgängern der Bundesländer Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg, aufgedrückt. Alle Bundesländer sollten nun jedoch als Träger der Einrichtung gewonnen werden. Der Freistaat Bayern trat 1952 als erster bei. Seit 1961 aber erst macht Berlin mit. Nach der Wende 1989 kamen die neuen Bundesländer sofort dazu. Heute wird sie vom Bund und allen 16 Ländern getragen. Das ist auch einzigartig. Nebenbei: Rheinland-Pfalz trägt den Löwenanteil. Ist die Speyerer Einrichtung anerkannt in der Hochschulwelt als vollwertiges Mitglied? Absolut, und zwar von Anfang an. Seit 1947 werden Professoren von überall her an die Universität nach Speyer berufen und umgekehrt. Speyer hat nachhaltigen Einfluss auf die Verwaltung in der Republik. Im öffentlichen Recht nenne ich das Verwaltungsverfahrensgesetz von 1976, das unter anderem in Speyer erarbeitet wurde, und jüngst die umfassende Gesetzesfolgen-Abschätzung, die die Verwaltung dazu zwingt, Konsequenzen von Gesetzen für Bürger und Unternehmen zu beachten. Wie viele Studenten zählt die Uni? Aktuell 440, aber sie sind nicht alle immer in Speyer. Teils wohnen sie außerhalb, viele pendeln. Dennoch bleibt die Universität ein großer Wirtschaftsfaktor für die Stadt. Warum ist es für die Uni gut, dass es sie in Speyer gibt? Weil uns die Stadt hervorragend unterstützt. Es gibt regelmäßige Treffen zwischen Uni und Stadt. Ich nenne noch zwei konkrete Beispiele. 1960 hat uns die Stadt das Grundstück für den Neubau gegeben. Aktuell haben sich verschiedene Akteure – Stadt, Dominikanerinnen, Gewo – zusammengefunden für das Wohnheim-Projekt. Das ist auch einzigartig, ist aus dem gegenseitigen guten Kontakt entstanden. Apropos Neubau: Wie alt muss die Uni werden, um den Neubau der lang gewünschten Bibliothek zu erleben? Fakt ist: Es gibt eine Planung von Max Dudler für ein markantes Gebäude als Antwort auf unser bestehendes Gebäude von Sep Ruf sowie als neuen Stadteingang, das auf Realisierung wartet. Ich hoffe, dass die Wartezeit darauf keine dreistellige Zahl an Jahren mehr beträgt. Geld des Landes ist wohl erst bei einer Besserung der Finanzlage des Landes zu erwarten. Wir brauchen den Neubau dringend, auch weil wir keine Gruppenarbeitsräume für heutiges Lernen haben. Was ist Ihr dringendster Geburtstagswunsch für die ... Studenten? Gute Wohn- und Studienbedingungen, Stichwort Wohnheim- und Bibliotheksneubau. ... Professoren? Gute Studenten mit Interesse an Verwaltung und öffentlichen Aufgaben sowie Engagement dafür. ... Universität? „Die“ Universität, das sind ja alle unsere über 150 Mitarbeiter und alle Studierenden – für sie wünsche ich mir weiter viel Engagement und Freude bei unserer gemeinsamen Arbeit, zu der jede und jeder beiträgt. Termin —Donnerstag, 12. Januar, 19.30 Uhr, Aula der Universität, Freiherr-vom-Stein-Straße 2: Festvortrag anlässlich des 70. Gründungstages der Universität von Johannes Masing, Richter am Bundesverfassungsgericht: „Nachrichtendienste im freiheitlichen Rechtsstaat“. Eingeleitet wird der Abend mit einem Kurzvortrag „Rückblick auf unsere Gründung“ von Stefan Fisch, Professor für neuere und neueste Geschichte, insbesondere Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte in Speyer. —Am selben Tag mittags gibt es einen Empfang an der Hochschule für die Mitarbeiter. Dort spricht Fisch ebenfalls. Zur Person —Stefan Fisch (64), München, Oxford, lehrt seit 1996 an der Universität am Lehrstuhl für neuere und neueste Geschichte, insbesondere Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte. In diesem Feld von Lehre und Forschung ist der Speyerer Lehrstuhl seit längerem der einzige im deutschen Sprachraum.

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