Speyer Eine der letzten Stimmen verstummt

1988: Anny Sulzbach-Seligmann
1988: Anny Sulzbach-Seligmann

Eine der letzten Speyerer Überlebenden des Holocaust hat uns verlassen: Am 8. März verstarb im Alter von 104 Jahren in Amsterdam Anny Sulzbach-Seligmann.

Anny Sulzbach-Seligmann kam am 30. Juli 1914 in Speyer als Tochter des Kaufmanns Julius Seligmann (1877-1948) und dessen Frau Hilda geb. Alexander (1887-1984) zur Welt. Nach dem Besuch des Speyerer Mädchenlyzeums wechselt Anny aufs Realgymnasium Mannheim. Da sie unter dem Nationalsozialismus als Jüdin in Deutschland nicht mehr auf Universitäten zugelassen wird, studiert sie Mitte 1934 bis Mitte 1935 im englischen Seebad Brighton Sprachen. Anfang Juli 1936 heiratet sie den Amsterdamer Juden Jacob Sulzbach; das Paar zieht in dessen Heimatstadt. Dass Vater Julius Seligmann im Ersten Weltkrieg gekämpft hat, nützt ihm nichts. Ihm und seiner Frau gelingt im Februar 1939 die Flucht nach Buenos Aires (Argentinien), unterstützt von der 33-jährigen Tochter Else, die bereits dorthin emigriert war. Als die deutsche Wehrmacht im Mai 1940 die Niederlande besetzt, sitzen Anny und ihr Ehemann in der Falle. Sie werden in das KZ Vught (südlich von s’Hertogenbosch) verschleppt, gelangen über das Durchgangslager Westerbork am 15. Februar 1944 in das KZ Bergen-Belsen. Sprachunterricht, den sie gibt, hilft zu überleben. Schließlich kann sie mit Ehemann und der fünfjährigen Tochter Evelyn nach Amsterdam zurückkehren. Der Wiederanfang ist schwer. Anny Sulzbach-Seligmann hatte nie vorgehabt, einmal ihre einstige Heimatstadt wieder aufzusuchen – die Sehnsucht war wohl groß, doch sie brachte es jahrzehntelang nicht über sich. Dass sie es schließlich nach 62 Jahren doch tat, ist Initiative und Einfühlungsvermögen von Ria Krampitz zu verdanken, der Leiterin des Speyerer Seniorenbüros. Am 29. Oktober 1998 wird Anny Sulzbach-Seligmann von Oberbürgermeister Werner Schineller (CDU) empfangen. Die seit 1982 Verwitwete begleiten Tochter, Schwiegersohn und Enkel. Am Nachmittag trifft sie im Seniorenbüro Schülerinnen Speyerer Gymnasien, tags darauf ist sie Gast beim Erzählcafé des Seniorenbüros. Bei ihren Speyerer Gesprächen erleben die Zuhörer die damals 84-Jährige sachlich, nüchtern, nicht verbittert, aber: „Wir Überlebenden sind gezeichnet. Das Trauma des Konzentrationslagers bleibt, man vergisst nie!“ Zur Sache Das Leben Anny Sulzbachs ist nachzulesen in ihrer autobiographischen Skizze. Ursprünglich in Französisch verfasst für ihre Enkel und Urenkel, ist es gleichfalls Ria Krampitz zu verdanken, dass sie einer Übersetzung und dem Erscheinen in der Schriftenreihe der Stadt Speyer zustimmte (Band 9: Eine deutsche Jugend: Speyer – Bergen-Belsen. 1998). Ihre Tochter Evelyn lebte mit ihrer Familie seinerzeit in Paris, ihr Sohn Jules in Montreal /Kanada. Wer Niederländisch versteht: Im Internet ist ein fast zweistündiges Video-Interview mit Anny Sulzbach-Seligmann zu sehen.

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