Speyer „Hanswurst vertreibt alle“

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Speyer bekommt prominenten Besuch: Denis Scheck, Jahrgang 1964, ist einer der bekanntesten deutschen Literaturkritiker. Mit seiner Schulfreundin, der Stuttgarter Ärztin Eva Gritzmann, hat er ein neues Buch veröffentlicht: „Solons Vermächtnis“. Aus ihrem Werk, das für mehr Wertschätzung des Alters plädiert, lesen die beiden Autoren am Freitag, 24. Februar, um 20 Uhr im Historischen Ratssaal. Antonia Kurz hat vorab mit ihnen gesprochen.

„Jugendkult“ und „Altersrassismus“ möchten Sie mit Ihrem Buch bekämpfen. Warum? Gritzmann:

Weil der reife Mensch zumindest in den Medien durch eine immer zahlreichere Truppe verantwortungsloser Spaßmichl, Animationsseppl und Castingnudeln verdrängt wird. Da muss man nicht erst „Dschungelcamp“ gucken. Natürlich lag die Hoffnung der Welt schon immer in der Jugend. Was aber, wenn diese Jugend Daniela Katzenberger bringt? Scheck: Die Infantilisierung und Banalisierung der Welt schreitet unaufhörlich voran, wir haben den Eindruck, dass Hanswurst im Begriff steht, allmählich alle anderen von der öffentlichen Bühne zu vertreiben. Denken Sie nur an Donald Trump. Sie fordern eine „Rückkehr zur Reife“. Was zeichnet für Sie einen reifen Menschen aus? Gritzmann: Dass er die Folgen seines Handelns bedenkt ... Scheck: … und Verantwortung dafür übernimmt. Achilles ist im Buch dagegen als Beispiel für Unreife angeführt. Können Sie das erläutern? Gritzmann: Achilles ist ein schönes Beispiel für einen launigen Supernarziss und Schlagetot, der seine individuellen Bedürfnisse nicht dem Gruppenziel unterzuordnen vermag. Scheck: Ein Ehrpussel, der durch seine Gekränktheit den Erfolg des ganzen Unternehmens Trojanischer Krieg gefährdet. Reife Teamplayer sehen anders aus. Und dann kommt der Athener Dichter und Politiker Solon ins Spiel, der über die Reifegrade des Menschen geschrieben hat. Warum ist „Solons Vermächtnis“ noch relevant? Gritzmann: Weil Solon sich als erster die Frage stellte, was wann in einem Menschenleben eigentlich passieren soll – also: Wann Kinder? Wann Ehe? Wann ist die Jugend vorbei, wann ist man alt? Diese Fragen sind 2017 noch so relevant wie damals. Die Menschen der Antike wurden damals ja gar nicht so alt wie heute. Lässt sich das Solon’sche Prinzip auf das 21. Jahrhundert übertragen? Scheck: Solon legte das ideale Lebensalter mit 70 und später mit 84 fest. In einer Epoche ohne Aspirin und Zahnärzte ist das schon recht optimistisch und von unserer Lebenserwartung gar nicht so sehr entfernt. Aufs eigene Leben anwenden muss man die Solon’schen Ideen nicht unbedingt. Aber darüber nachzudenken, lohnt sehr. Geht es bei Ihrem Engagement um Lifestyle-Kritik oder um eine entscheidende gesellschaftliche Umkehr? Gritzmann: Mit Lifestyle hat das schon lange nichts mehr zu tun. Wenn in einer immer älter werdenden Gesellschaft der Jugendkult zum Fetisch von Werbung, Politik und Medien wird, läuft vieles falsch. Was sind die Gründe dafür? Scheck: Da ist zum einen die berühmte werberelevante Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen. Zum anderen die Assoziation von Alter mit Abgestumpftheit, während Jugend mit Kreativität gleichgesetzt wird. Kulinarisches, Schnapsbrennen, Apfelernte – Ihr Buch nähert sich dem Thema Reifeprozess aus verschiedenen Richtungen. Was erwartet die Speyerer Zuhörer? Gritzmann: Tatsächlich glauben wir an einen Zusammenhang zwischen Kunst und Kulinarik. Beide Felder sind Schulen der Aufmerksamkeit und trainieren den Möglichkeitssinn. Scheck: Neulich war ich bei Eva Gritzmann zu Gast und bekam Hirn vom Lamm vorgesetzt. Vor so etwas zucken inzwischen sehr viele Menschen zurück und rufen: Igitt! Der Innereien-Konsum in Deutschland ist in den letzten 30 Jahren um sagenhafte 70 Prozent zurückgegangen. Wir Menschen sind in unserem Essverhalten eigentlich sehr konservativ, solche Umstellungen dauern normalerweise viel länger. Wir denken inzwischen darüber nach, ob es nicht einen Zusammenhang zwischen der explodierenden Zahl von Essstörungen und der Ausweitung unserer Ekelzone geben könnte. Was für ein Publikum wünschen Sie sich in Speyer? Gritzmann: Gern ein aufgeschlossenes und zahlreiches. Wie kam es eigentlich zur literarischen Zusammenarbeit? Scheck: Wir sind ja zusammen zur Schule gegangen und haben uns danach nie lange aus den Augen verloren. Ich habe von keinem Menschen in meinem Leben so viel gelernt wie von Eva Gritzmann. Gritzmann: Nichts bringt einem die Weltanschauung des anderen näher, als gemeinsam ein Buch zu schreiben. Scheck: Eine der wichtigsten Funktionen von Eva ist, meiner natürlichen Trägheit durch wohlgezielte Tritte gegens Schienbein Grenzen zu setzen. Wer hat welches Wissen zur Entstehung des Buches beigetragen? Scheck: Das ist exakt wie bei einem guten Saumagen: die individuellen Zutaten treten hinter dem harmonischen Gesamteindruck zurück ... Gritzmann: ... und auf einen guten Saumagen freuen wir uns übrigens jetzt schon bei unserem Ausflug nach Speyer! Vorverkauf Eintrittskarten gibt es bei den RHEINPFALZ-Servicepunkten und beim RHEINPFALZ-Ticketservice unter der Telefonnummer 0631 37016618 sowie der Internet-Adresse www.rheinpfalz.de/ticket.

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