Speyer „Ich bin Optimist“

Auch die Chemie wird digital: In der BASF – das Foto zeigt den Werksteil Süd – steht Innovation ganz oben.
Auch die Chemie wird digital: In der BASF – das Foto zeigt den Werksteil Süd – steht Innovation ganz oben.
Herr Horvat, seit wann kennen Sie Johann Joachim Becher und wie haben Sie ihn kennengelernt?

Persönlich habe ich ihn leider nicht kennenlernen dürfen, aber ich würde dafür brennen, mit jemandem wie ihm die drängenden Fragen unserer Zeit zu diskutieren, am besten in Speyer bei einer guten Weinschorle. Aber im Ernst: Ich habe das erste Mal von ihm gehört, als ich vor über zehn Jahren in Speyer beim THW in der Industriestraße mitgearbeitet habe. Fasziniert hat mich vor allem seine Alchemie, auch wenn das nicht mehr viel mit dem zu tun hat, was die moderne Chemie heute macht. Becher (1635 – 1682) war ein Tausendsassa, vieles probiert, war letztlich technischer Revoluzzer. Glauben Sie, wenn er heute leben würde, würde er die Digitalisierung – Stichwort Industrie 4.0 – begeistert begrüßen? Ich kann es mir nicht anders vorstellen. Sie sagen es ja, er hat vieles ausprobiert, dann sicher auch die neuesten Technologien der Digitalisierung. Aber da sehen wir schon, wie unterschiedlich die Spielfelder beim „Ausprobieren“ und bei der Einführung neuer Technologien sein können: Spielerisch Neues auszuprobieren, ist das Eine. Das machen Think Tanks, Universitäten oder eben auch Universalgelehrte wie Becher. Klappt etwas nicht, hat es kaum negative Auswirkungen. Aber neue Technologien in bestehende Organisationen einzuführen, in denen Menschen arbeiten und von denen sie abhängig sind, das ist etwas anderes. Dann müssen wir die möglichen Auswirkungen sehr wohl im Auge haben, und die können positiv, aber auch negativ sein. Herr Horvat, Sie sagen, die Innovationsschübe der bisherigen industriellen Revolutionen haben sich letztlich als gewinnbringend für die Menschen erwiesen. Woher nehmen Sie als Gewerkschafter diesen Optimismus? Es waren letztlich industrielle Revolutionen, die die Gewerkschaftsbewegung hervorgebracht und maßgeblich zu ihrer Weiterentwicklung beigetragen haben. Das war kein einfacher Weg. Die Gewerkschaften haben die Innovationsschübe nicht verhindert, sondern im Gegenteil, sie haben sie zum Vorteil der Menschen und auch der Arbeitnehmer mitgestaltet. Es waren teils heftige, aber eben doch konstruktive Konflikte. Mitbestimmung und wirtschaftlicher Erfolg – hier arbeiten wir als Gewerkschafter mit, und daraus speist sich auch mein Optimismus. Wie wollen und können Sie als Gewerkschafter und Betriebsratsvorsitzender des größten Unternehmens in der Region dazu beitragen, dass der technologische Wandel mit und nicht gegen Arbeitnehmer gestaltet wird? Das ist eine Aufgabe, die Ausdauer und langen Atem erfordert. Von Gewerkschaftsseite und Institutionen wie etwa der Hans-Böckler-Stiftung werden viele hilfreiche theoretische Grundlagen erarbeitet, die uns als Betriebsräten zur Verfügung stehen. Im Frühjahr sind die Betriebsräte in den Firmen neu gewählt worden. Bei der BASF stehen wir als neu konstituierter Betriebsrat am Anfang der Amtsperiode 2018 bis 2022. Digitalisierung, demografischer Wandel und – sehr konkret – die Weiterführung unserer Praxis der Standortvereinbarungen stehen bei uns ganz oben auf der Agenda. Daneben begleiten wir die Einführung neuer Technologien und Prozesse durch entsprechende Betriebsvereinbarungen. Wie nimmt man den älteren Mitarbeitern die Angst vor der neuen Technologie – und die Sorge, nicht mehr Schritt halten zu können und ausgemustert zu werden? Das ist ein wichtiger Punkt. Als erstes geht es um Anerkennung, gerade bei den älteren Kolleginnen und Kollegen. Sie waren ja auch mal jung und haben beim Einstieg in die Firma mit ihrem damaligen frischen Wissen zum Erfolg des Unternehmens beigetragen. Danach haben sie über Jahrzehnte betriebliches Know-how aufgebaut, und viele von ihnen haben sich auch fachlich immer weiterentwickelt. Dieses Know-how gilt es hervorzuheben und auf intelligente Weise für die Firma zu nutzen, gerade dann, wenn heute wiederum neue Mitarbeiter mit neuem Wissen zu uns kommen, aber noch keine Betriebserfahrung haben. Für diesen gelebten Wissenstransfer zwischen Jung und Alt treten wir als Betriebsrat sehr nachhaltig ein. Gewiss bedeutet das für viele ältere Mitarbeiter auch, dass sie ihre Weiterbildung vertiefen müssen und dass das Unternehmen entsprechende Angebote und Mittel zur Verfügung stellen muss. Sehen Sie die Gefahr, dass Unternehmen den technologischen Wandel zum Personalabbau nutzen könnten? Und wenn ja, wie kann Ihre Gewerkschaft, die IG BCE, wie können Gewerkschaften generell dem entgegenwirken? Die Gefahr sehen wir sehr wohl, wobei mir einige Aussagen von Unternehmensseite in dieser Richtung mehr wie das Erliegen einer Versuchung vorkommen. Die Einführung digitaler Technologien bedeutet in der Regel zunächst Mehraufwand, wenn sie erfolgreich sein soll. Und in komplexen chemischen Produktionsanlagen geht es kaum ohne das eben erwähnte betriebliche Know-how. Deshalb werden wir über die Mitbestimmung die Digitalisierung sehr sorgfältig begleiten. Dazu gehören natürlich auch die Veränderungen in der Arbeitswelt. Es werden Arbeitsplätze wegfallen, und neue Arbeitsplätze werden – und müssen – entstehen. Ein Schlüssel dafür sind Innovationen. Da sehe ich die BASF auf einem guten Weg, gerade auch mit Blick auf unseren neuen Vorstandsvorsitzenden, Martin Brudermüller, der sich vehement für die Stärkung unserer Innovationskraft einsetzt. Die Arbeitgeberseite spricht sehr oft über die Chancen von 4.0 für die Arbeit von morgen. Können Sie ebenfalls positive Auswirkungen erkennen? Bleibt der Mensch im Mittelpunkt? Zur ersten Frage: Ja, ich sehe bei Industrie 4.0 positive Auswirkungen. Die IG BCE hat im letzten Jahr einen Atlas zur Digitalisierung in der Branche herausgegeben. Darin zeigt sich, wie unterschiedlich Digitalisierung in Firmen umgesetzt wird. BASF ist mit dem neuen „Automated Guided Vehicle“ dabei, kurz AGV. Das ist ein automatisch gesteuertes Tankfahrzeug, das derzeit erprobt und unsere Logistik deutlich verbessern wird. Zur zweiten Frage: Der Mensch muss im Mittelpunkt bleiben, das ist eine zentrale Anforderung für die Gewerkschaft und für uns als Betriebsrat. Ich werde es der Unternehmensseite gewiss nicht absprechen, dass sie sich am Ende ebenfalls für die Mitarbeiter einsetzt. Aber der wirtschaftliche Druck erzeugt unserer Erfahrung nach an vielen Stellen im Unternehmen eine Dynamik, bei der die Menschen eben doch schnell mal auf der Strecke bleiben. Das müssen wir als Arbeitnehmervertreter entschlossen und konstruktiv korrigieren, das erwarten die Mitarbeiter von uns. Welche Botschaft wollen Sie in Speyer unbedingt loswerden? Ich möchte versuchen, ein realistisches und positives Bild für die Perspektiven der BASF, ihrer Mitarbeiter und für die Menschen in der Region zu zeichnen. Die wesentlichen Herausforderungen kennen wir alle, Industrie 4.0 ist eine davon. Aber wir können sie anpacken und an Lösungen arbeiten. Für Gewerkschaft und Betriebsrat sehe ich die Notwendigkeit, sich engagiert einzubringen. Es gibt konkrete Beispiele dafür, wie das bereits gelungen ist und weiter gelingen kann: Seit über 20 Jahren haben wir in aufeinander folgenden Standortvereinbarungen gemeinsam mit der Unternehmensleitung Entwicklungsperspektiven und Beschäftigungssicherung für das Werk in Ludwigshafen festgelegt. Das fordern wir auch für die Zukunft. Als Gewerkschafter und Betriebsrat sehe ich durchaus Konflikte und Diskussionsbedarf, aber auch ein konstruktives Miteinander. Ich bin Optimist! Mal noch eine ganz andere Frage: Sind Sie nach Speyer zufällig mit dem Flugzeug gekommen? Nein, ich habe heute mal das Auto genommen. Aber ich schätze es sehr, dass Speyer verkehrstechnisch mit Straßen und Autobahnen, Hafen, Fahrradwegen, Bahnhöfen und einem Flugplatz auf vielen Wegen bestens erreichbar ist. Letzte Frage: Wie gefällt Ihnen das, was die JJBG in Speyer macht? Was halten Sie von der Vortragsreihe Industrie 4.0? Es gefällt mir sehr gut, wenn sich die Johann Joachim Becher Gesellschaft den aktuellen, teils sicher auch brisanten Themen dieser Zeit annimmt. Der persönliche Austausch ist meiner Meinung nach noch immer der beste Kanal dafür. Angesichts aktueller und doch sehr befremdlicher Aussagen zu „fake news“ oder alternativer Fakten, schätze ich hier vor allem die offene Aussprache, die sachlich orientiert ist, realistisch und auf hohem Niveau. Das gilt auch für die Reihe zu Industrie 4.0. Es wäre noch besser, wenn diese Diskussionskultur auch in der breiten Öffentlichkeit und in der Politik wieder mehr Raum einnehmen und zu einer Selbstverständlichkeit werden würde. Termin Vortrag „Industrie 4.0 – im Mittelpunkt steht der Mensch“: Referent: Sinischa Horvat, Vorsitzender des Betriebsrates der BASF SE, des BASF-Konzernbetriebsrats sowie des BASF-Europa-Betriebsrats, am Dienstag, 12. Juni, 18 Uhr, Historischer Ratssaal der Stadt Speyer, Maximilianstraße 12. Der Vortrag ist öffentlich. Anmeldung Konrad Reichert, Ludwigstraße 52, Ludwigshafen, E-Mail: gesellschaft@johann-joachim-becher.de

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