Speyer Kämpferin nicht nur in Karate

Bisher Beamtin in Speyer, künftig Bundestagsabgeordnete in Berlin: Nicole Höchst.
Bisher Beamtin in Speyer, künftig Bundestagsabgeordnete in Berlin: Nicole Höchst.

Bei der Auszählung war sie in Speyer dabei, kurz nach 21 Uhr hat sie sich in Bad Kreuznach, wo sie kandidierte, von ihren Parteifreunden feiern lassen. Am Montagmorgen gab es dann nach einiger Rechnerei die Meldung, dass die Speyerer AfD-Frau Nicole Höchst als letzte Kandidatin auf der Landesliste ihrer Partei in den Bundestags eingezogen ist, schwarz auf weiß. Wer ist die erste Speyererin im Bundestag seit Birgit Roth (SPD, 2002)?

Ernste Probleme hätten sie bewogen, Anfang 2015 in die AfD einzutreten, sagt Nicole Höchst. Dass Angela Merkels Politik etwa in Währungs- und Asylfragen als alternativlos dargestellt, aber nicht erklärt werde. Dass das Bildungswesen im Niedergang begriffen sei. Die angebliche Frühsexualisierung unter anderem in Kindergärten. Und die „Islamisierung“, verbunden mit einer für sie falschen Asylpolitik. Sie berichtet und begründet mit ernster Miene. Der Salat vor ihr bleibt für mehr als eine Stunde unangerührt. Nach der Stunde, auf dem Rückweg, erzählt Höchst einen Witz – „den fand ich gut“. Er geht so, dass einer behaupte, zwei plus zwei sei fünf, der andere um Korrektur bitte und nur zu hören bekomme: „Distanzieren Sie sich erst von Gauland.“ Über Humor lässt sich streiten. Und über Politik. Nicole Höchst, Lehrerin und AfD-Politikerin, ist dazu bereit. Dass AfD-Spitzenkandidat Alexander Gauland die Bundesintegrationsbeauftragte „in Anatolien entsorgen“ wollte – und so die Grundlage für den Witz lieferte –, kommentiert sie so: „Ich distanziere mich per se erst mal von niemandem.“ Ihre Wortwahl wäre das mit dem Entsorgen nicht, sagt Höchst. Spitzenpolitiker anderer Parteien hätten sie aber auch schon gebraucht. Beispiele von Volksvertretern anderer Couleur, die über die Stränge geschlagen hätten, fügt sie gleich an. Über AfD-Rechtsaußen Bernd Höcke, gegen den ein Parteiausschluss-Verfahren läuft, sagt sie, sie werde als „einfaches Parteimitglied“ die Entscheidung des Schiedsgerichts respektieren. Zum Abgang von AfD-Spitzenfrau Alice Weidel im ZDF wegen „unprofessioneller“ Fragen gibt sie den Hinweis, dass sie dabei geblieben wäre. Für eine Äußerung zur Spaltung der AfD-Fraktion war Höchst gestern nicht zu erreichen. Nicole Höchst kämpft. Gegen die von ihr wahrgenommenen gesellschaftlichen Probleme. Um ihren Ruf im als Regierungsschuldirektorin im Pädagogischen Landesinstitut Speyer, der Medienberichten zufolge angegriffen wird. Für die AfD, die in Rheinland-Pfalz knapp 10 Prozent bei der Wahl brauchte, damit Höchsts Platz vier auf der Landesliste fürs Parlament reichte. Gekämpft hat sie auch um diese Chance – in einer Kampfabstimmung um Platz eins der Liste war sie unterlegen, ebenso wie bei der um die Direktkandidatur im Wahlkreis Neustadt-Speyer. Sie kandidierte dann in Bad Kreuznach-Birkenfeld und kam auf 10,8 Prozent. Sie sagt: „Ich bin AfD, ich bin kein Lager, ich unterstütze selbstverständlich auch den Wahlkampf in Speyer.“ Benjamin Haupt, Kreisvorsitzender in Speyer, lobt sie in den höchsten Tönen: „Sie ist sich für nichts zu schade, und sie spricht das intellektuelle Klientel an.“ „Ich bin niemand, der kneift“, sagt sie über ihren Wahlkampf im 98 Kilometer von Speyer entfernten Bad Kreuznach. Sie sei angespuckt worden, habe Morddrohungen erhalten, aber auch „immer mehr“ Zuspruch: „Es verändert sich etwas.“ Die 47-Jährige ist alleinerziehende Mutter von vier Kindern. Zwischen drei und 15 Jahre alt sind die zwei Mädchen und zwei Jungen, deren Betreuung sei gut geregelt. Sie will nach Berlin pendeln, „die Kinder nicht aus ihrem gewohnten Umfeld reißen“. In Speyer lebt sie seit einem knappen Jahrzehnt, in ihrer Freizeit geht sie gerne in die örtlichen Lokale, radelt, liest, kocht oder trainiert Karate. Für die Wahlkreisarbeit will Höchst in Speyer und Bad Kreuznach präsent sein, „meinem örtlichen Kreisverband für ein ordentliches Wahlkreisbüro unter die Arme greifen“. Das erleichtere dann auch Versammlungen, für die es in der Domstadt keine Selbstverständlichkeit sei, Lokale zu finden. „Wir werden ganz sicher kommunalpolitisch eine Rolle spielen“, sagt sie über die AfD in Speyer. Auch wenn sie selbst sich auf ihr Bundestagsmandat konzentrieren werde, gebe es „hervorragende Leute, die mit den Hufen scharren“. Sie habe den Kampf gegen ein neues Stadtlogo unterstützt, erwähnt sie eine ihrer bisherigen kommunalpolitischen Aktivitäten. Für die neue Fraktion würde sie gern im Bildungsausschuss tätig sein. „Auch das Thema Familie liegt mir sehr am Herzen.“ Relativ bald nach ihrem Parteieintritt war sie zur Chefin des Bundesfachausschusses Kultur, Medien, Schule, Hochschule ihrer Partei aufgerückt, seit 2016 ist sie in der Bundesprogrammkommission. Sie sei „von zu Hause aus sehr konservativ eingestellt“, sagt Höchst, früher als „zahlendes“ Mitglied auch in der CDU. „Gutmensch“ sei sie übrigens auch mal gewesen, aber heute denke sie anders – vor allem selbst, so Höchst mit Verweis auf die Philosophen Immanuel Kant und Jacques Derrida. „Selber denken“, stand auch in ihrer Wahlwerbung – für Höchst die Gegentendenz zum „denkgesteuerten Zeitgeist“. Zur Person Nicole Höchst, geboren 1970 in Homburg, Studium in Düsseldorf, Saarbrücken, Montpellier, Brüssel (Englisch, Französisch), 2002 bis 2007 Studienrätin in Rheydt, 2007 bis 2012 Lehrerin am Speyer-Kolleg, seit 2009 Referentin am Pädagogischen Landesinstitut, seit 2014 Regierungsschuldirektorin, in der AfD seit 2015, getrennt lebend, vier Kinder.

x