Speyer „Manche Geschichten wird man nie los“

Gehört zu den bekanntesten und einflussreichsten investigativen Journalisten des Landes: Hans Leyendecker.
Gehört zu den bekanntesten und einflussreichsten investigativen Journalisten des Landes: Hans Leyendecker.
Herr Leyendecker, als Investigativjournalist haben Sie Fehler und Abgründe anderer ans Licht gebracht. Was war Ihre größte journalistische Fehlleistung?

Mir sind so manche Fehler in Erinnerung geblieben. Und mit manchen Dingen lebe ich immer noch schwer. Der größte Missgriff war mit Sicherheit mein handwerkliches Versagen bei der Berichterstattung über den Zugriff der GSG 9 in Bad Kleinen 1993, als der RAF-Terrorist Wolfgang Grams einen Polizisten erschoss und dann selbst getötet wurde. Ich habe im „Spiegel“ die Geschichte „Der Todesschuss“ gemacht. Ein Zeuge, meine Quelle, hatte behauptet, Grams sei willentlich erschossen worden. Dieser Artikel hatte große Auswirkungen, der Innenminister trat zurück, der Generalbundesanwalt wurde zurückgetreten. Es stellte sich dann raus, dass die Aussagen des Zeugen nicht verlässlich waren. Diese Berichterstattung gehört noch immer zu meinen Alpträumen. Ich habe mich damals bei vielen Leuten entschuldigt, das tue ich auch heute noch, aber so eine Geschichte wird man nicht mehr los, die nimmt man mit ins Grab. Und auf welche Leistung sind Sie besonders stolz? Bewertungen der Vergangenheit ändern sich ja im Laufe der Zeit. Auf manches, auf das ich mal stolz war, bin ich es heute nicht mehr. Auf anderes schon. Zufrieden bin ich sicherlich mit vielen Geschichten über illegalen Waffenhandel, da ist man ja auch irgendwie immer auf der richtigen Seite. Was mir aber am nächsten geblieben ist, sind alle Themen, die mit illegalen Parteispenden zu tun hatten. Die Aufdeckung von Korruption oder von großdimensionierten Steuerbetrügereien – damit kann ich immer noch gut leben. Bei den Südwestdeutschen Medientagen heute und am morgigen Freitag in Landau geht es um die Beschleunigung des Journalismus’ durch die Digitalisierung. Ist diese Entwicklung auch gefährlich? Es gibt zwei gleichzeitige Entwicklungen: Zum einen wird der Journalismus immer besser, zum anderen auch immer schlechter. Die Medien, die das Rennen um Nachrichten mitmachen, alles aufschnappen, alles melden, schaden dem Journalismus. Aber es gibt auch Geschichten wie die Recherche über die Panama Papers, an der 400 Kollegen aus 85 Ländern gemeinsam gearbeitet haben. Kollegen aus meiner Zeitung waren auf die Unterlagen gestoßen und arbeiteten ein gutes Jahr an dieser Geschichte. Das wäre früher unvorstellbar gewesen, weil auch diese Menge an Daten gar nicht hätte verarbeitet werden können. Wenn wir also über die Beschleunigung der Medien durch die Digitalisierung sprechen, müssen wir auch über die unendlichen Chancen sprechen. Und am Ende bleibt das, was immer galt: Bei einer Recherche wird Material zu einem bestimmten Ereignis gesammelt und dann geprüft, ob dieses Ereignis so stattgefunden hat. Glaubwürdigkeit ist das wichtigste Gut der Medien. Doch um diese scheint es gerade nicht sehr gut bestellt zu sein. Der Lügenpresse-Vorwurf geistert seit einiger Zeit herum, besonders in den Sozialen Netzwerken. Ist diese Kritik berechtigt – zumindest stellenweise? Die Mainzer Universität hat eine Untersuchung gemacht, die zeigt, dass die Glaubwürdigkeit der Presse steigt. Und die war auch nie so verheerend, wie wir sie selbst dargestellt haben. Wir müssen aber trotzdem prüfen, was an den Vorwürfen gerechtfertigt ist. Und da gibt es schon ernstzunehmende Kritikpunkte. Nicht nur die, dass wir zu schnell sind und nicht genug prüfen, sondern auch den Vorwurf, dass wir keine richtige Fehlerkultur haben. Viele Journalisten scheuen es noch immer, eigene Fehler zuzugeben und diese auch öffentlich kenntlich zu machen. Manche haben vielleicht Angst vor den Kollegen, andere fürchten um ihren Ruf in der Öffentlichkeit. Dennoch ist es äußert unklug, auf etwas Falschem zu beharren. Was müssen Journalisten heute leisten, damit sie weiterhin eine Existenzberechtigung haben? Sie müssen ihr Handwerk ausüben, sie müssen ehrlich sein, sie müssen sich infrage stellen können, sie müssen den Zweifel deutlich machen, sie müssen aufklären wollen. Alles das, was schon immer vom Journalismus verlangt wurde, gilt nach wie vor. Und der Beruf ist noch immer der schönste von allen.

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