Speyer Mehr als ein „Veilchen“ hat keiner bemerkt

Vor dem Jugendschöffengericht im Amtsgericht Speyer ist gestern die Verhandlung vom 1. Februar gegen einen 21-jährigen Insassen der Jugendstrafanstalt (JSA) Schifferstadt fortgesetzt worden. Er soll mit einem weiteren Insassen am 23. Februar vergangenen Jahres einen dritten mit der Faust attackiert, gewürgt und verletzt haben.

Eine Prügelei gab es. Wie weit die aber ging, und vor allem, wodurch sie ausgelöst wurde, da haben der Angeklagte, der angebliche zweite Angreifer, dessen Verfahren abgetrennt wurde, und der 19-jährige Verletzte, der als Nebenkläger auftrat und bereits im ersten Termin als Zeuge befragt wurde, ganz verschiedene Geschichten erzählt. Dies war auch der Grund, warum der gestrige Termin mit etlichen Zeugenvernehmungen anberaumt wurde. Die Prügelei ereignete sich abends nach einem Anti-Aggressionstraining. In der Wohngruppe wurde gekocht, und der Angeklagte habe, wie er sagte, dem Nebenkläger sein Essen bringen wollen. Der sei aber nicht in seiner Zelle gewesen. Stattdessen habe er ihn in seiner eigenen Zelle vorgefunden, wie er die Fotos seiner Familie und Freundin an der Wand betrachtet und dabei sexuell an sich herumgespielt habe. Als er ihm dann noch seine Mutter, die als Prostituierte arbeite, angeboten und auf seine empörte Ablehnung bemerkt habe, dass das doch nicht schlimm sei, im umgekehrten Fall hätte er nichts dagegen, Kunde der Mutter des Angeklagten zu sein, sei er ausgerastet. Es sei aber bei dem einen Schlag geblieben. Der Nebenkläger hatte bei seiner Vernehmung nicht nur von dem Faustschlag gesprochen, sondern auch vom Würgen und weiteren Angriffen. Ursache war nach seiner Überzeugung eine Streitigkeit mit einem anderen Teilnehmer des Anti-Aggressions-Trainings. Gestern wurde nicht nur der zweite angebliche Angreifer als Zeuge vernommen, sondern auch der Sanitäter in der JSA, ein weiterer Beamter, die Psychologin und der Anti-Aggressions-Trainer. Mit allen hatte der Nebenkläger über die Prügelei gesprochen. Die Beamten hatten kaum eine Erinnerung, stützten sich aber auf ihre Unterlagen. Niemand hatte mehr als das „Veilchen“ wahrgenommen. Der zweite mutmaßliche Angreifer bestätigte im Wesentlichen die Version des Angeklagten. Er selber habe den Nebenkläger aus der Zelle gestoßen, um eine Eskalation zu verhindern, nachdem der nicht allein gegangen sei. Die Psychologin konnte zum Fall selbst nicht viel sagen. Aus der auf Antrag des Verteidigers Alexander Klein beigezogenen Vollzugsakte ergab sich kein sehr positives Bild des Nebenklägers: Er habe manipulative Tendenzen. Allerdings war die Vorstrafenliste des Angeklagten sehr umfangreich. In seinem Plädoyer folgte Staatsanwalt Andre Bohlender der Version des Angeklagten und beantragte eine Einheitsjugendstrafe mit der noch Abzubüßenden von drei Jahren und zehn Monaten. Nebenklägervertreterin Katja Kosian glaubte ihrem Mandanten und empfand den Antrag als zu niedrig. Verteidiger Alexander Klein beantragte die Anwendung von Erwachsenenstrafrecht und eine Geldstrafe von 60 Tagessätzen. Das Urteil wird am 3. März verkündet. |adö

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