Speyer Musik als Weg zur Wahrheit

Auch als Professor an der Musikhochschule Saarbrücken und Schöpfer eigener Kompositionen prägend: Leo Kraemer.
Auch als Professor an der Musikhochschule Saarbrücken und Schöpfer eigener Kompositionen prägend: Leo Kraemer.

Leo Kraemer feiert heute seinen 75. Geburtstag. Seit 48 Jahren ist die Biografie des Organisten, Dirigenten, Komponisten und Hochschulprofessors eng mit Speyer verbunden, denn 1971 wurde er hier Domorganist, 1990 zudem Domkapellmeister. Als künstlerischer Leiter der Konzerte des Vereins PalatinaKlassik ist er weiter in der Domstadt präsent, doch der Radius seines Wirkens geht weit darüber hinaus.

Im November dirigierte Leo Kraemer Haydns Oratorium „Die Schöpfung“ mit den PalatinaKlassik-Ensembles in Speyer. Das andere späte Haydn-Oratorium, „Die Jahreszeiten“, leitet er in knapp fünf Monaten in der weißesten der weißen Nächte am 21. Juni in der St. Petersburger Philharmonie. Das verdeutlicht, wie weit gespannt die Arbeit des 1944 im saarländischen Püttlingen geborenen und seit langer Zeit in Speyer lebenden Künstlers allein geografisch ist. Er hat in der Heimat, in Speyer und im ganzen Bistum vielfältige Zeichen gesetzt, war und ist aber auch in der Welt viel gefragt, bis hin zu Auftritten und pädagogischer Arbeit in Asien und auf dem amerikanischen Kontinent. Besonders in Osteuropa hat Kraemer wichtige Aufgaben übernommen. Er war Chefdirigent im estnischen Tallinn und erster Gastdirigent der Philharmonie im weißrussischen Minsk – und er steht an der Spitze des Kammerorchesters der St. Petersburger Philharmoniker. Das besteht aus den ersten Pulten der Philharmoniker, einem der ersten Orchester der Welt. Leo Kraemer hat „sein“ Kammerorchester aus der Stadt an der Newa schon oft zu Konzerten mit an den Rhein nach Speyer gebracht. Erst im Sommer waren St. Petersburger Musiker wieder hier – und es soll weitere Besuche von ihnen in Speyer geben. Die Petersburger genießen die Zusammenarbeit mit Kraemer, weil er ihnen gerade im Umgang mit der Musik der Wiener Klassik einen Zugang vermittelt, der in Russland noch nicht so weit verbreitet ist wie bei uns: den einer historisch informierten Aufführungspraxis. Auch wenn Kraemer bei barocker und klassischer Musik mit Ensembles auf modernen Instrumenten arbeitet, pflegt er ein nach der Spielweise des 18. Jahrhunderts authentisches und größtmöglich beredtes Musizieren. Das war gerade erst vor Weihnachten beim Speyerer Konzert mit Bachs Weihnachtsoratorium abermals eindrucksvoll zu erleben. Beredsamkeit und die Vermittlung der Botschaft musikalischer Kunstwerke, das ist für Leo Kraemer auf der Orgelbank, an Klavier oder Cembalo und am Dirigentenpult immer essenziell – auch bei den Werken des 19. und 20. Jahrhunderts. Das gilt für seine Interpretationen weltlicher und ganz besonders – was bei einem ehemaligen Domorganisten und Domkapellmeister nicht wunder nimmt – für die großer geistlicher Werke. Musik als Ahnung des Unendlichen: diese Idee einer metaphysischen Dimension der Tonkunst ist hinter dem Spiel und Dirigieren Leo Kraemers immer erfahrbar. Nicht umsonst gehört die nicht selten tief mystische Orgelmusik Olivier Messiaens zu seinem Kernrepertoire als Organist, neben der Musik Bachs, die gerade in den Choralbearbeitungen ebenso voll klingender Theologie ist. Dass deshalb bei seiner Arbeit als Dirigent und Chorleiter die Werke Anton Bruckners neben denen Bachs, Mozarts, Haydns und Mendelssohns eine wesentliche Rolle spielen, versteht sich. Ebenso gerne und oft widmet sich Kraemer aber auch dem „Deutschen Requiem“ von Brahms. Michael Wagner, der erste Vorsitzende des Vereins PalatinaKlassik, der seit vielen Jahren bei Kraemer im Chor singt und seit 2012 an seiner Seite die Projekte von PalatinaKlassik ermöglicht, nennt den Musiker einen „Revolutionär, Visionär und Kosmopoliten im positiven Sinn“ – und er hebt ganz besonders die schon erwähnte ideelle und geistig-geistliche Dimension der künstlerischen Arbeit Leo Kraemers hervor. Musik als Weg zur Wahrheit, zur Sphäre der anderen Welt und zu Gott: das ist die Essenz dessen, was Wagner immer wieder in der Begegnung und dem Musizieren mit Kraemer spürt und begreift. Groß ist die Zahl der Auszeichnungen des Jubilars, bis hin zum 2010 verliehenen Bundesverdienstkreuz am Bande. Groß war sein Einsatz für die Völkerverbindung in Zeiten des Eisernen Vorhangs und ist es heute mit den engen Kontakten nach St. Petersburg und auch zum Konservatorium im russischen Kazan, von denen das Publikum in Speyer, der Pfalz und dem Saarland schon vielfach profitiert hat und weiter profitieren soll. „Leo Kraemer ist einer der wichtigsten Motoren im kulturellen Leben des Landes“: das sagte die damalige rheinland-pfälzische Kulturministerin Doris Ahnen bei der Verleihung der Peter-Cornelius-Medaille im Jahr 2007. Und Leo Kraemer ist bei weitem nicht nur das. Wir gratulieren.

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