Speyer „Patentrezepte gibt es nicht“

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Wenn Flüchtlingskinder ab sechs Jahren in einer rheinland-pfälzischen Kommune angekommen sind, sind sie schulpflichtig. Die Premiere des Praxisforums „Flüchtlingskinder und -jugendliche gehen zur Schule“ am Donnerstag im Pädagogischen Landesinstitut (PL) hat Lehrkräften Unterstützung geboten. Ellen Korelus-Bruder hat den stellvertretenden Direktor Udo Klinger (63) nach Bedarf und Entwicklung gefragt.

Herr Klinger, was ist das größere Problem für Lehrer – Sprachbarrieren oder kulturelle Unterschiede?

Das ist schwer einzuschätzen. Zunächst ist Sprache die höchste Barriere. Die Schüler machen aber oft schon nach wenigen Monaten Fortschritte. Langfristig geht es um den Umgang mit kulturellen Unterschieden. Das war ein Schwerpunkt unseres Praxisforums. Was an Werten und Traditionen ihrer Kulturen erhalten bleibt und was in der neuen Heimat übernommen wird, ist ein ständiger Spagat für Schüler mit Migrationsgeschichte. Daran orientierten sich die drängendsten Fragen der Teilnehmer. Lehrer welcher Schulformen haben an der Tagung teilgenommen? Wir haben das Forum für alle Schularten geöffnet, von der Förderschule bis zur Berufsbildenden Schule. Teilgenommen haben sehr viele Grundschulpädagogen und weit mehr Lehrer der Realschulen plus als von den Gymnasien. Waren insgesamt viele da? Ja, wir waren mit dem Zuspruch sehr zufrieden. Mehr als 60 Teilnehmer haben sich ausgetauscht, informiert und praxisorientiert gearbeitet. Was müssen Lehrer aufgrund der neuen Situation lernen? Das kommt auf ihre Funktion in der Schule an. Deutschlehrer konzentrieren sich eher auf Sprachförderung, Schulleiter brauchen Instrumente für die Elternarbeit. Alle müssen ihre Techniken weiter entwickeln. Dafür sind grundlegende Konzepte und gute Materialien hilfreich. Patentrezepte gibt es nicht. Wie wichtig ist regelmäßiger Austausch der Pädagogen über Erfahrungen und Möglichkeiten? Unglaublich wichtig. Das war auch in der Speyerer Auftaktveranstaltung deutlich zu spüren. Das ist auch unser Ansatz. Die Lehrer werden mit ähnlichen Situationen konfrontiert. Sie lernen voneinander und erfahren, dass sie nicht alleine sind. Manches Problem relativiert sich. War das Praxisforum einmalig? Nein. Für nachhaltigen Erfolg ist Kontinuität entscheidend. Am 7. Oktober gab es in Ingelheim eine landesweite Veranstaltung mit knapp 300 Lehrkräften. Auf der Basis dieser Erkenntnisse haben wir das Speyerer Forum konzipiert. Weitere regionale Tagungen finden in den nächsten Tagen und Wochen in Andernach, Ingelheim und Wittlich statt. Im Herbst geht es dann in einer neuen Runde in Speyer weiter. Glauben Sie, dass diese neuen Herausforderungen ohne Eingriff in die gegenwärtig bestehenden Schulstrukturen im Land überhaupt zu bewältigen sind? Mittelfristig wird es darum gehen, wie wir Probleme angehen, die Schule nicht alleine lösen kann. Wir merken schon jetzt, dass wir an vielen Stellen an Grenzen stoßen. Schule wird sich künftig stärker in Richtung multiprofessionelle Teams entwickeln. Was meinen Sie: Wie sieht der rheinland-pfälzische Schulalltag in zehn Jahren aus? Das ist wirklich eine super Frage. Es ist schwer, solche Voraussagen zu treffen. Vermutlich wird Routine im Umgang mit Schülern aus unterschiedlichen Kulturen einkehren. Vieles, was heute noch große Probleme macht, wird selbstverständlich sein. Sicher ist auch, dass Schule stärker mit der Digitalisierung Schritt halten muss. Und sie muss sich auf fortschreitende gesellschaftliche, familiäre und berufliche Veränderungen einstellen. Sonst wird die Kluft zwischen Lebensrealität und Schule immer größer. (kya)

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