Speyer Stolpersteine: Brüder durchleiden Schicksal sogenannter Halbjuden

Maximilianstraße 96: Das Goldschmidt-Wohnhaus stand vor seinem Abriss an der Stelle des heutigen „Wirtshauses am Dom“ (links im
Maximilianstraße 96: Das Goldschmidt-Wohnhaus stand vor seinem Abriss an der Stelle des heutigen »Wirtshauses am Dom« (links im Bild).

Am kommenden Dienstag, 22. Oktober, werden Stolpersteine vor sechs Anwesen in der Speyerer Kernstadt verlegt. Sie erinnern an die Schicksale jüdischer Opfer des Nationalsozialismus, die in diesen Häusern einst lebten. Die ehrenamtliche Stolperstein-Initiative hat diese recherchiert und aufgeschrieben. Heute: die Familie Goldschmidt aus der Maximilianstraße 96.

Die Biografien der Familienmitglieder Goldschmidt zeigen wie unter einem Brennglas die Verläufe, die ein jüdisches Leben unter dem Nationalsozialismus nehmen konnte – und wie Entscheidungen des NS-Regimes Einfluss auf die weitere Zukunft jüdisch-christlicher Familien hatten. Der aus Frankfurt gebürtige Kaufmann Julius Goldschmidt (1868-1928) ist in erster Ehe mit der gleichfalls jüdischen Eugenia Westheimer (1865-1914) verheiratet. Sie führen das Mode- und Putzwarengeschäft Westheimer & Cie. in der Maximilianstraße 14.

Zwei Kinder kommen zur Welt: Heinrich (1897) und Milli (1906). Milli heiratet einen Nichtjuden, sie ziehen später nach Augsburg. Noch im Februar 1945 nach Theresienstadt verschleppt, überlebt sie das Lager. Ihr Bruder Heinrich arbeitet jahrelang beim Zirkus. Als dieser mit Kriegsbeginn schließen muss, wird er im nahen Schleusingen/Thüringen sesshaft. Unter nichtigem Vorwand verhaftet man ihn Ende 1939; nach dreimonatigem Gefängnisaufenthalt wird er Anfang 1940 in das Konzentrationslager Sachsenhausen deportiert und stirbt dort im September des Jahres.

Söhne werden katholisch getauft

Julius Goldschmidt heiratet 1916 die katholische Anna Maria („Lenchen“) Oderbreit (1893-1976), mit der er ab 1922 ein Gemischtwarengeschäft in der Maximilianstraße 8 führt, wo sich zurzeit das Media-Tor befindet. Ihre beiden Söhne Kurt (1917 - nach 1996) und Walter (1924-2015) werden katholisch getauft und erzogen. Nach dem Tod des Vaters muss das Geschäft aufgegeben werden. Die Mutter ernährt die Familie mit Zimmervermietung im Anwesen Maximilianstraße 96, wohin alle im April 1933 gezogen waren.

Mitte 1940 heiratet die Mutter ein zweites Mal. Nach der Machtübergabe an Adolf Hitler 1933 gelten die beiden Söhne als „Halbjuden“. Walter ist deshalb der Besuch von Handelsschule oder Gymnasium verwehrt. Nur mit Mühe gelingt es ihm, eine Lehrstelle als Bäcker zu finden. Durch den mutigen Einsatz des Bäcker- und Innungsmeisters Georg Wilhelm Fleischmann wird er zur Prüfung zugelassen und kann die Lehre mit einem Gesellenbrief abschließen. Danach kommt er in der Militärbäckerei neben dem St.-Guido-Stifts-Platz unter.

Bruder Kurt dient in der Wehrmacht

Walter wird im Frühjahr 1944, da „wehrunwürdig“, zwangsweise zur Organisation Todt eingezogen und muss gefährliche Zwangsarbeit in der besetzten Normandie leisten: Reparatur zerstörter Gleisanlagen, später Schanzarbeiten. Im März 1945 wird er von US-Truppen befreit. Der gelernte Kaufmann Kurt Goldschmidt dient als „Halbjude“ in der Wehrmacht, kämpft in Frankreich und Russland. Er überlebt, heiratet später und bekommt zwei Kinder.

Walter Goldschmidt heiratet 1946, arbeitet zunächst in einer französischen Militärbäckerei, später als Angestellter im hiesigen Wasser- und Schifffahrtsamt, danach im Straßenbauamt. Das Ehepaar hat drei Söhne. Nach seiner Pensionierung wird Walter Goldschmidt in Speyer als Hobbyhistoriker bekannt, ist auch vielfach ehrenamtlich engagiert.

Vor der Maximilianstraße 96 werden am Dienstag Stolpersteine für Kurt und Walter Goldschmidt verlegt.

Die Serie

Die RHEINPFALZ dokumentiert die Schicksale Speyerer Juden, zu deren Ehren am Dienstag Stolpersteine verlegt werden, mit Texten der Speyerer Stolperstein-Initiative.

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