Speyer Stolpersteine: Erfolgreich mit Schuhen und Lederwaren

Geschäftig: Bernhard Roos gründete 1910 eine Schuhfabrik in der Speyerer Burgstraße.
Geschäftig: Bernhard Roos gründete 1910 eine Schuhfabrik in der Speyerer Burgstraße.

Am kommenden Dienstag werden Stolpersteine vor sechs Anwesen in der Speyerer Kernstadt verlegt. Sie erinnern an die Schicksale jüdischer Opfer des Nationalsozialismus, die in diesen Häusern einst lebten. Die ehrenamtliche Stolperstein-Initiative hat sie recherchiert und aufgeschrieben. Heute: Eugen, Alice und Nina Roos, Burgstraße 11, ehemals Nummer 6.

Die Geschichte der Familie Roos in Speyer lässt sich bis ins 18. Jahrhundert zurückverfolgen, als der Metzger Nathan May mit seiner Frau Edel Benedict und Sohn Anschel aus dem Elsass einwandert. Gemäß napoleonischem Recht nehmen sie neue Namen an und werden ab 1808 als Jonathan und Amalia Roos in Speyer geführt. Sie haben insgesamt neun Kinder. In der Hundgasse (heute Gutenbergstraße) betreiben sie ein Wirtshaus, das vom jüngsten Sohn des Paares, Moritz, geboren 1812, übernommen wird. Er engagiert sich bereits in der Lederbranche, was für die wirtschaftliche Erfolgsgeschichte der Familie bis ins 20. Jahrhundert von Bedeutung sein wird.

Bernhard Roos, am 1. Juni 1840 als erster Sohn von Moritz Roos und seiner Frau Louise, geborene Süssel, in Speyer geboren, eröffnet 1864 ein Leder- und Gamaschengeschäft, aus dem sich eine kleine Schuhfabrikation entwickelt. 1869 heiratet er Natalie David. Das Paar bekommt zwischen 1870 und 1879 drei Töchter und drei Söhne. In der Burgstraße gründet Bernhard Roos 1910 eine Schuh-/Schäfte- und Gamaschenfabrik. Die Söhne Eugen (1870), August (1874) und Karl (1879) sind als Kaufleute in der Lederbranche tätig und übernehmen die Speyerer Schuhfabrik in der Burgstraße 7-8 nach dem Tod des Vaters. Die Urnen von Bernhard (1912 gestorben) und Natalie (1924 gestorben) sind in einem Sarkophag auf dem Speyerer Jüdischen Friedhof bestattet.

In Gesellschaft hoch angesehen

Die Brüder Roos sind als Fabrikanten wirtschaftlich erfolgreich und wie bereits die vorherigen Generationen gesellschaftlich integriert und hoch angesehen. Die Machtübergabe an die Nationalsozialisten markiert einen entscheidenden Einschnitt für die jüdischen Bürger: Die Geschichte ihrer Firmen und die persönlichen Schicksale ändern sich durch die nationalsozialistische Vernichtungspolitik. Die Schuhfabrik Roos wird 1935 in eine GmbH unter Leitung des nicht-jüdischen Betriebsleiters Volz umgeformt und dadurch „arisiert“. Die Brüder Roos sind nur noch als Kürzel im Firmennamen erkennbar. 1955 wird die RoVo GmbH dann von der Firma Salamander übernommen und in den 1970er-Jahren geschlossen. Auf dem Gelände der ehemaligen Firmengebäude befinden sich heute Wohnungen und Garagen. Das Wohnhaus der Familie, die sogenannte „Villa Roos“, ist erhalten geblieben.

Die Lebenswege der Schwestern Roos ähneln sich. Sie heiraten jüdische Geschäftsleute und folgen ihren Ehemännern an deren Wohnorte. Melanies Mann stirbt 1942 in Mainz, sie selbst wird 1942 nach Theresienstadt deportiert, wo sie 1943 stirbt. Beider Tochter wird 1942 in das Ghetto Piaski deportiert und stirbt dort. Der Sohn des Paares Walter überlebt die Shoah in Mainz.

Die Schicksale

Lucies und ihr Mann, möglicherweise auch ihr Sohn, flüchten 1939 nach Brasilien, ihre Tochter in die Schweiz, später in die USA und überleben dadurch die Shoah. Karoline, die in die bekannte Münchner Familie Bernheimer geheiratet hatte, flüchtet in die USA und kehrt 1958 nach Europa zurück. Die Brüder Karl und August leben in Mannheim. Dort stirbt Karl 1936. August tötet sich 1942 selbst. Für ihn ist im Frühjahr 2024 in Mannheim ein Stolperstein verlegt worden.

Eugen heiratet die 1879 in Frankfurt geborene Alice Mayer und hat seinen Lebensmittelpunkt in Speyer. Hier werden drei Kinder geboren: Nina (1903), Madeleine (1905) und Hans-Albrecht (1906). Madeleine heiratet den nichtjüdischen Schuhfabrikanten Louis Schwarz aus Landau, der 1939 stirbt. Sie verehelicht sich ein zweites Mal 1947, nach der Scheidung 1959 nimmt sie wieder den Namen Roos an. 1998 stirbt sie hochbetagt in Landau.

Beitritt in evangelische Gemeinde verwehrt

Madeleine Roos hat in den 1970er-Jahren Speyer besucht und die Gebäude der Schuhfabrik 1978 vor ihrem Abriss noch einmal besichtigt. Hans-Albrecht emigriert 1938 nach Missouri, USA. Nina, nach Zeitzeugenaussagen belastet durch körperliche Gebrechen, bleibt ledig und wohnt mit ihrer Mutter Alice bis zu ihrer Deportation in Speyer.

Eugen Roos tritt 1908 aus der jüdischen Religionsgemeinschaft aus. 1936 richtet er in Speyer für sich und seine Frau ein Taufbegehren an die evangelische Kirchengemeinde, dem das Presbyterium zustimmt. Nach entschiedener Intervention einer Reihe von Gemeindemitgliedern, die sich gegen die Taufe von Juden wenden und mit Kirchenaustritt drohen, zieht Eugen den Wunsch zurück. Er stirbt 1937 in Ludwigshafen, die letzte Speyerer Wohnadresse lautet Burgstraße 6.

In Auschwitz ermordet

Die meisten Speyerer Juden werden am 22. Oktober 1940 zusammengetrieben und nach Gurs in Südfrankreich deportiert. Alice und Nina Roos, wohl geschützt durch christliche Verwandte, leben noch in Speyer in der Burgstraße bis 1942, dann werden auch sie von der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik eingeholt. Alice Roos wird im Juli 1942 ins Konzentrationslager Theresienstadt deportiert. Dort stirbt sie am 10. Januar 1943. Gemeinsam mit ihrer Mutter wird auch Nina Helena Roos deportiert; am 15. Mai 1944 verschleppt man sie von Theresienstadt nach Auschwitz, wo sie ermordet wird.

Vor dem Haus Burgstraße 11 werden am Dienstag, 22. Oktober, drei Stolpersteine für Eugen, Alice und Nina Roos verlegt.

Die Serie

Die RHEINPFALZ dokumentiert die Schicksale Speyerer Juden, zu deren Ehren am Dienstag Stolpersteine verlegt werden, mit Texten der Speyerer Stolperstein-Initiative.

Erhalten geblieben: Villa Roos.
Erhalten geblieben: Villa Roos.
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