Zweibrücken Da bleibt das Lachen im Hals stecken

„Modern Times“ in der Alten Schmelz: Charlie Chaplins Filmklassiker aus dem Jahr 1936 lockte am Samstagabend fast 800 Besucher in die Industriekathedrale in St. Ingbert zum Filmkonzert des Saarländischen Staatsorchesters unter Leitung von Adrian Prabava.

Ein Klassiker mit Live-Musik: Nach Fritz Langs „Metropolis“ war nun auch Charlie Chaplins Leinwandepos mit der im Jahr 2000 von Timothy Brock rekonstruierten Originalmusik zu hören. Und Brock versuchte bei dieser Arbeit, dem minutiös genauen Dialog zwischen Szene und Musik nachzuspüren, der charakteristisch für Charlie Chaplins Arbeitsweise ist. Den Puls zwischen Handlung und Musik zeichnete auch Dirigent Adrian Prabava nach, in höchster Präzision griffen Aktion und Musik im farbigen, nuancenreichen Spiel des Saarländischen Staatsorchesters ineinander über. Die Musik ist in Chaplins Werk nie nur stimmungsvolle Begleitung, sondern sie ist ein eigenständiger Hauptdarsteller und Kommentator in einem eigenen Klangkörper. Wie „Metropolis“, das Meisterwerk des deutschen Regisseurs Fritz Lang, setzt sich auch Chaplins „Modern Times“ mit dem Verhältnis von Mensch und Maschine in der modernen Welt, speziell in der Arbeitswelt auseinander. Die im Dienst des Kapitals stehenden und von ihm gesteuerten Maschinen erfassen den Menschen vollständig, er wird vom Gang ihres Räderwerks vereinnahmt, manchmal geradezu verschlungen. Wie der Mensch der Maschine ausgeliefert ist, nicht nur bei der Arbeit, sondern sogar bei ganz natürlichen Handlungen wie dem Essen, zeigt Chaplin exemplarisch, wenn der von ihm verkörperte Tramp bei der Arbeit in der Fabrik während der Mittagspause von einer „Essmaschine“ gefüttert wird, damit er die Arbeit nicht unterbrechen muss – ein Horrorszenario, bei dem dem Zuschauer das anfängliche Lachen sehr schnell im Hals stecken bleibt. Die Einführung einer solchen Maschine im durchrationalisierten Pflegeheim der Zukunft möchte man sich nicht vorstellen. Und so wie der Tramp alias Charlie Chaplin schon am Fließband nicht im Takt der Maschine blieb, sondern zum Schluss ebenso wie die Musik sogar ausflippte, so verschluckt er sich auch in den Fängen der Füttermaschine immer wieder. Komik und Groteske, Slapstick und Absurdität fließen hier ineinander, der fanfarenähnliche Auftakt der Musik verliert sich immer mehr, löst sich in sich verhaspelnde Sequenzen auf. Die Musik kann sich hier ebenso wenig frei entfalten wie der im Räderwerk gefangene Mensch. Aber auch in den sozialen Strukturen und Hierarchien – bei der Arbeit in der Fabrik, bei der Arbeitssuche und bei den Auseinandersetzungen mit der Polizei – ist der Mensch nur ein winziges Atom in einer anonymen Masse, der Willkür ausgeliefert. Die Musik kommentiert das mit einer Melodie voll ständiger Wiederholungen, die aber immer leicht im Takt variieren und so ebenso wie durch ihre Leichtigkeit anstelle eines schweren Marsches doch ein Zeichen der Hoffnung auf ein Leben setzen, in dem die Anonymität überwunden werden kann. Absurde Alltagsszenen überwindet die Musik, indem sie sie einfach auf die leichte Schulter nimmt: Durch raffinierte Taktverschiebungen parodierte Wiener Walzer, Symbol unbeschwerten Lebensgenusses, deuten zum einen auf die Herkunft vieler Arbeiter aus Europa hin, zum anderen aber versucht die Musik den Ereignissen und Schicksalen den Stachel zu nehmen. Vollends zur Befreiung wird die Musik im Privatleben des Tramps, in dem er sich in das tanzende Straßenmädchen (Paulette Goddard) verliebt. Und im Café, in dem sie als Tänzerin und er als Sänger mit einem Nonsense-Text und seiner ungemein expressiven Pantomime brilliert, wird die Musik zu seiner Sprache, die in der federnden Interpretation des Saarländischen Staatsorchesters regelrecht mit ihm mitatmet. Auch am Ende des Filmes, wenn sich beide nach dem Verlust dieses Jobs auf einer einsamen Straße aus der Industriewelt der Stadt hinaus auf den Weg in die Berge machen, trägt sie die Musik auf den Flügeln der Hoffnung in die Zukunft.

x