Saarbrücken Der ultimative Graffiti-Überblick

Das Cover zeigt Vampirella vor ihrem Werk „Vampi “ 1985 in Amsterdam.
Das Cover zeigt Vampirella vor ihrem Werk »Vampi « 1985 in Amsterdam.

Seit über 20 Jahren beschäftigt sich der Heidelberger Kulturwissenschaftler Ulrich Blanché mit Graffiti & Co. Sein Buch „Illegal“ ist mehr als ein Ausstellungskatalog.

Ulrich Blanché – er promovierte 2012 über Banksy und Damien Hirst – konzipierte nicht nur die Saarbrücker Schau „Illegal – Street Art Graffiti 1960-1995“, er gab dazu auch ein dickes Buch mit Bildbeispielen und Aufsätzen zur Geschichte und den Hintergründen des Genres heraus. Seine Prämisse: „Solche inoffiziellen Schriftzüge, heimliche Kritzeleien und selbstautorisierten Bilder auf mehr oder weniger urbanen Oberflächen bilden eine Art alternative Volkskunstgeschichte.“

Der Begriff Graffiti stammt von dem Fotograf Brassai, der in Paris Gekritzeltes und Gemaltes als eigenständige Objekte fotografierte, sie 1933 in einer Zeitschrift veröffentlichte und „Graffiti“ nannte. „Damit öffnete Brassai auch den Kunstbegriff: Der Betrachter wird zum Kunstschaffenden, wenn er Dinge als Kunst erkennt“, schreibt Graffiti-Forscher Johannes Stahl. Der nächste Schritt hin zu den Museen passierte, als das Museum of Modern Art in New York 1956 eine Auswahl der Brassai-Fotos zeigte. Blanché weiß auch, dass selbst Picasso 1952 Illegales an eine Wand malte, als er in Warschau mit Kohle an eine Hauswand zeichnete.

Das Buch ist voll von solchen Überraschungen, einfach, weil man es so kompakt und in Zusammenhänge eingebettet noch nie gesehen hat. Graffiti galt lange als Gekritzel und als politisch links, als gesellschaftskritisch, auch als dilettantisch - bis die sorgsam komponierten Buchstabenkürzel der Sprayer und die Arbeit mit Schablonen begann, es also einen betont künstlerischen Aspekt gab.

Graffiti ist eher ein Männerding, aber es gibt natürlich auch weibliche Street-Artisten. Blanché nennt als erste Barbara 62, die 1971 in New York begann, und Jenny Holzer, die heute weltweit mit anderer Kunst bekannt ist, aber 1977 anan New Yorker Wänden mit wild plakatierten Offsetpostern ihrer Serie „Truisms“ startete.

Wie schwer es das neue Genre hatte, zeigt der Briefwechsel des aus Westhofen stammenden rheinland-pfälzischen Kunsterziehers Klaus Wittmann (1952-1989) mit dem Kunstmagazin „Art“. Wittmann hatte in New York 1981 Street-Art-Werke von Keith Haring gesehen, fotografiert und mit dem Künstler gesprochen. „Art“ lehnte 1982 Wittmanns Text und seine Fotos ab – im selben Jahr wurde Haring zur Documenta eingeladen. Wittmann sorgte dann für Harings erste Einzelausstellung in Deutschland 1984 in Berlin. Im Buch sind einige Wittmann-Fotos von Harings Kreidezeichnungen aus der New Yorker U-Bahn erstmals zu sehen. Auch andere Raritäten und viele Abbildungen von Street-Art-Werken, die es nicht mehr gibt, bietet dieses wunderbare Buch. Es hat das Zeug, zum Standardwerk für die Street-Art-Geschichte zu werden.

Lesezeichen

Ulrich Blanché (Herausgeber): „Illegal - 1960 Street Art Graffiti 1995“, 240 Seiten 212 Fotos, Hirmer Verlag 2024, 45 Euro.

x