Zweibrücken Wir lassen uns das Singen nicht verbieten

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Darf man drei Tage nach dem Terroranschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt Spaß haben beim Weihnachtskonzert „Schlag unser“ von Guildo Horn? Ja, darf man. Vielleicht muss man dem Terror sogar auf diese Weise zu begegnen. So sahen das wohl auch die 850-Horn-Fans, die am Donnerstagabend den Meister und seine Combo „Die Orthopädischen Strümpfe“ bei deren tollem, knapp zweieinhalbstündigem Auftritt in der Saarbrücker Garage feierten.

Guildo Horn ist auf der Bühne nicht so politisch wie Wolfgang Niedecken. Undenkbar, dass der dieser Tage ein Konzert spielen würde, ohne auf die Ereignisse zu Beginn der Woche einzugehen. Nicht so der Schlager-Barde: Der hielt sich nicht mit Vorreden auf, kam im tannenbaumgrünen Satinanzug auf die mit Tannenbaum und vielen Lichterketten geschmückte Bühne und rockte los. Spätestens beim dritten Song „Es weihnachtet sehr“ zur Melodie des Village-People-Songs „YMCA“ hatte der Meister das Publikum in der Tasche. Seine Jünger, meist älteren Datums, sind wahrscheinlich schon zu Guildos Grand-Prix-Zeiten vor 18 Jahren zu den Konzerten gepilgert. Das tat der Stimmung keinen Abbruch: Alle tanzten und sangen mit. Das Konzert hatte ein bisschen was von heiterem Liederraten. „Wie heißt der Song im Original?“ fragten sich die Fans mehr als einmal. Denn Horn und seine fulminante Sieben-Mann-Combo zeigten einen Parforceritt durch die Stilarten des Rock und Pop. So wie bei „Papa ist der Weihnachtsmann“ zu „Papa Was a Rolling Stone“ von den Temptations. Da baute Gitarrist Pruntz Philipp Kegelmann so ganz nebenbei mal das Jahrhundert-Gitarrenriff von „Smoke on the Water“ ein. Und bei „Endlich ist Dezember“ („September“ von Earth, Wind & Fire) zauberte Horns dreiköpfiger Bläsersatz, Die asoziale Blaskappelle Dessau, klasse den fetten Funky-Sound der späten 70er Jahre auf die Bühne. „Flügel hoch“ befahl Horn dem Publikum. Er meinte die Arme, „Mundwinkel auch“. Die Rampensau Guildo Horn, bürgerlich Horst Köhler, hatte die Menge fest im Griff. Wer in diesem Konzert nach spätestens 20 Minuten nicht gut drauf war, von wem hier nicht Stress und Hektik abfielen, der geht zum Lachen wahrscheinlich auch in den Keller. Weiter ging die Reise durch die musikalische Vergangenheit, und Schlager spielten vorerst gar keine Rolle. „Schöne Weihnachtszeit“ („Everlasting Love“ von The Love Affair), „Ich hab’s Christkind gestern schon gesehen“ („Eternal Flame“ von The Bangles), und bei „Das Christkind ist da“ („Video Killed the Radio Star“ von The Buggles) stand der Meister schon ohne Rüschenhemd, dafür aber mit einem überdimensionalen Paar Engelsflügel auf dem Rücken da. In der Unplugged-Session im Konzert-Mittelteil (ohne Bläsersatz, dafür mit Bassist Der ewige Strull am Kontrabass) haute Horn den Fans in minimalistischer Form Klassiker wie Elvis „In the Ghetto“ („In der Krippe“ - Ode an den Esel), Abbas Chiquitita („Dicker Dieter“) und deren „The Winner Takes It All“ („Mein Freund, der Weihnachtsbaum“) um die Ohren. Bei „Ich wünsch’ mir ein Pony zur Weihnacht“ („Stairway to Heaven“, Led Zeppelin) wurden im Publikum sogar die guten alten Wunderkerzen statt Handy-Taschenlampen ausgepackt. Die Bläser kamen mit Pink Floyds „Another Brick in the Wall“ („Wir wollen keine Ostereier“) stark zurück. Und bei den Schlagern als Zugabe drehte der Meister selbst noch mal ganz groß auf: Zurück im Mantel des Weihnachtsmanns mit Zipfelmütze (darunter ein gewagter schwarzer Leder-Einteiler, wie sich gleich darauf herausstellte), intonierte er zur Freude der voll mitgehenden Fans „Wunder gibt es immer wieder“ von Katja Ebstein, Udo Jürgens’ „Vielen Dank für die Blumen“ und schließlich kurz vorm Abgang mit Eurovisionshymne, Can-Can und New York-Thema noch seinen Grand-Prix-Song „Guildo hat euch lieb“. Dass es dem Menschenfreund und Diplom-Pädagogen aus Trier, der mit „Guildo und seine Gäste“ im Fernsehen auch schon eine Talkshow mit Behinderten moderierte, durchaus ernst damit ist, zeigten die eher stillen Momente des Konzerts. Als Horn zwischendurch nur mit der Akustikgitarre ganz allein „Leise rieselt der Schnee“ anstimmte – und alle mitsangen. Als vor den Zugaben die Bläsergruppe aus dem Stegreif „Es ist ein Ros’ entsprungen“ spielte. Und als zum Konzertende Horn mit seinen Bühnenkollegen a cappella „O du fröhliche“ sang – und wieder der ganze Saal mit einfiel. Horn hat es nicht gesagt, aber ja: Man darf Spaß haben, auch drei Tage nach einem schlimmen Ereignis. Hätte er was dazu gesagt, hätte er vielleicht auf Schlagerkollegin Tina York verwiesen: „Wir lassen uns das Singen nicht verbieten“. Wie die mehr als 200 Menschen am Berliner Breitscheidplatz, die zwei Tage nach dem Anschlag „Stille Nacht“ und „We Are the World“ anstimmten. Wir lassen uns das Singen nicht verbieten. Und alles andere auch nicht. Danke Guildo, bis zum 22. Dezember 2017!

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