Kindermörder Belgiens Trauma: Marc Dutroux sitzt seit 25 Jahren im Gefängnis

Marc Dutroux bei der Urteilsverkündung im Juni 2004.
Marc Dutroux bei der Urteilsverkündung im Juni 2004.

1996 wurde der Sexualstraftäter und Kindermörder Marc Dutroux verhaftet. Auch ein Vierteljahrhundert später sind seine Taten nicht vergessen. Dutroux bleibt ein großes Trauma für Belgien.

In Charleroi, außerhalb von Brüssel, steht ein Haus ohne eine Tür. Das Haus des Mannes, dessen Name ein Synonym für Grausamkeit ist: Marc Dutroux. Der Eingang ist verbarrikadiert und die Fassade mit einem großen Bild verkleidet. Zu sehen ist ein Kind vor einem himmelblauen Hintergrund, das einen Drachen in die Luft steigen lässt.

Der heute 64-jährige Dutroux entführte, vergewaltigte, folterte und tötete in den 90er Jahren mehrere Mädchen in Belgien. Zwei Mädchen verhungerten in einem Kellerverlies in diesem Haus. Am 13. August vor 25 Jahren konnte die Polizei Dutroux fassen. Nach acht Jahren fiel das Urteil: lebenslange Haft.

Gedenktafel erinnert an die Opfer

Vergessen hat Belgien Dutroux auch nach einem Vierteljahrhundert nicht. Die Person Dutroux bleibt ein Mahnmal. Wie auch das Haus mit der himmelblauen Fassade in Charleroi. Es ist ein Stück Farbe in einer trostlosen Gegend. Gleise liegen direkt vor der Tür, Autos rasen an der angrenzenden Schnellstraße auf der Überführung. Es ist durchweg laut. Unter der Brücke spielen kleine Jungs Fußball. Ihre Rufe und das Aufprallen des Balles gesellen sich zum Verkehrslärm. Eine Gedenktafel gegenüber dem Haus erinnert an die Opfer von Pädokriminellen, also an Kinder, die Opfer von Verbrechern wurden. Nach Angaben eines Stadtsprechers soll das Haus bis 2023 abgerissen und ein Gedenkgarten errichtet werden.

Zu den Opfern zählen die beiden Mädchen Melissa Russo und Julie Lejeune. Beide wurden achtjährig im Juni 1995 entführt und in dem von Dutroux gebauten Verlies festgehalten und sexuell missbraucht. Damaliger Berichterstattung zufolge soll das Verlies rund zwei Meter lang und etwa ein Meter breit gewesen sein. Die Mädchen verhungerten, während Dutroux wegen Autodiebstählen für drei Monate im Gefängnis saß.

70 Tage im Verlies

Zwei weitere Opfer, Eefje Lambrecks (19) und An Marchal (17), starben im Jahr 1995, nachdem Dutroux und Komplizen sie entführt, missbraucht und gefoltert hatten. Im Mai 1996 entführte Dutroux die damals zwölfjährige Sabine Dardenne und im August die damals 14-jährige Laetitia Delhez und steckte sie in sein Verlies. Aufgrund von Zeugenaussagen konnte er dann gefasst werden. Die zwei Mädchen kamen frei. Sabine hatte zu dem Zeitpunkt mehr als 70 Tage und Laetitia etwa eine Woche im Verlies verbracht.

Besonders schockierend war der Fall, weil der fünffache Familienvater Dutroux und seine Lebensgefährtin, Michelle Martin, bereits in den 80er Jahren wegen der Entführung und des Missbrauchs von fünf Mädchen verurteilt worden waren. Er sollte eigentlich 13 Jahre absitzen – kam aber nur sechs Jahre nach seiner Verhaftung wegen guter Führung wieder frei.

Marsch gegen sexuelle Gewalt

Nach der endgültigen Festnahme am 13. August 1996 rollte eine Welle der Empörung durch Belgien. Etwa 300.000 Menschen demonstrierten damals in Brüssel beim sogenannten Weißen Marsch gegen sexuelle Gewalt an Kindern und die Justiz. Als Auslöser sahen viele vor allem die Absetzung des Untersuchungsrichters Jean-Marc Connerotte vom Fall Dutroux. Der Richter hatte an einem Benefiz-Essen für die Opfer von Dutroux teilgenommen, daher warf man ihm Befangenheit vor. Connerotte hatte sich für ein striktes Durchgreifen gegen Pädokriminelle ausgesprochen.

Zudem beteuerte Dutroux, er habe im Auftrag eines Pädophilennetzwerkes mit bedeutenden Persönlichkeiten gehandelt. Diese Aussagen bestätigten sich zwar nie, für viele Menschen wurde der Fall Dutroux aber dennoch zu einem Inbegriff für das Versagen der Justiz und der Polizei. Er gilt auch als einer der Gründe für die Polizeireform in Belgien Mitte der 90er Jahre.

Anwalt kämpft weiter

Darf ein Mann wie Dutroux also noch einmal auf freien Fuß kommen? Damals bekam er die lebenslängliche Haftstrafe. Sein Anwalt Bruno Dayez jedoch kämpft seit ein paar Jahren für die Entlassung. 2018 veröffentlichte er sogar ein Buch darüber. 2020 bestätigte ein psychologisches Gutachten dann, dass Dutroux nach wie vor eine Bedrohung sei und nicht frühzeitig entlassen werden könne. Dennoch erklärt Dayez auch jetzt, dass er nicht aufgeben werde.

Sofia Mahjoub von Child Focus, einer Stiftung für sexuell missbrauchte und vermisste Kinder, ist sich sicher: Eine frühzeitige Entlassung des „Staatsfeindes“ würde die belgische Gesellschaft nie akzeptieren. „Jeder kennt seinen Namen, jeder kennt seine Taten“, erklärt Mahjoub. Dutroux habe Belgien verändert und traumatisiert. Child Focus wurde in den 90ern unter anderem von dem Vater eines der Opfer gegründet.

„Belgien ist heute sicher“

Dutroux entführte eines seiner Opfer auf offener Straße und zerrte es in einen weißen Van. Noch immer riefen besorgte Eltern die Stiftung an, wenn sie einen weißen Van auf der Straße sehen. Die Angst stecke den Menschen noch immer in den Knochen. In vielen Bussen in Brüssel hängt das grünblaue Werbebild von Child Focus.

Doch auch wenn es gelegentlich zu Entführungen von Kindern komme, ist es Mahjoub zufolge „unmöglich“, dass ein zweiter Dutroux das Land erschüttere: weil das Bewusstsein der Bevölkerung gestärkt sei und gleichzeitig die Polizeiarbeit besser ablaufe. „Belgien ist heute ein sicheres Land“, sagt Mahjoub.

Eventuell auch weil Dutroux weiter im Gefängnis sitzt. Seinem Anwalt zufolge büßt er seine Strafe in Einzelhaft ab: 25 Jahre alleine in einer neun Quadratmeter großen Zelle. Fast wie ein Verlies.

Zur Sache: Chronik eines Verbrechens

Wie kaum ein anderer hat der Kriminalfall Marc Dutroux die belgische Gesellschaft erschüttert. Ein Rückblick:

  • Juni 1995: Julie (8) und Mélissa (8) verschwinden spurlos, im August auch An (17) und Eefje (19). Sie sterben in Dutroux’ Kellerverlies.
  • Mai 1996: Sabine (12) verschwindet in Kain, etwa 80 Kilometer südwestlich von Brüssel.
  • August 1996: Laetitia (14) wird in Bertrix im Süden von Belgien entführt. Nach Zeugenaussagen werden Dutroux, seine Frau und ein Komplize wenige Tage später festgenommen. Nach deren Geständnissen können Laetitia und Sabine befreit werden.
  • Oktober 1996: In Brüssel bekunden beim Weißen Marsch Hunderttausende ihre Solidarität mit den Eltern der Mädchen.
  • März 2004: Der Mordprozess gegen Dutroux und drei Mitangeklagte beginnt im südbelgischen Arlon.
  • Juni 2004: Das Gericht verurteilt Dutroux zu lebenslanger Haft. Seine damalige Frau muss 30 Jahre ins Gefängnis.
  • Dezember 2004: Das Urteil ist rechtskräftig.
  • Juli/August 2012: Ein Gericht entscheidet, dass Dutroux’ Frau vorzeitig freikommt und in einem Kloster leben darf. Der Widerspruch von Opferfamilien bleibt erfolglos.
  • September 2012: Dutroux stellt einen Antrag auf vorzeitige Entlassung aus dem Gefängnis, der im Februar 2013 abgelehnt wird.
  • Oktober 2019: Ein Brüsseler Gericht gibt dem Antrag seiner Anwälte auf ein neues psychologisches Gutachten statt. Ergebnis: Die Rückfallgefahr wäre weiterhin zu hoch.
In diesem Haus in Charleroi beging Dutroux seine Taten.
In diesem Haus in Charleroi beging Dutroux seine Taten.
Gedenktafel gegenüber des Hauses in dem der Sexualstraftäter und Kindermörder Marc Dutroux seine Taten verübte.
Gedenktafel gegenüber des Hauses in dem der Sexualstraftäter und Kindermörder Marc Dutroux seine Taten verübte.
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