Panorama Europa dreht an der Uhr: Droht das Ende der gemeinsamen Zeit?

Welche Zeit darf es künftig sein? EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker will die halbjährliche Zeitumstellung abschaffen. Danac
Welche Zeit darf es künftig sein? EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker will die halbjährliche Zeitumstellung abschaffen. Danach könnten die Uhren in Europa aber von Land zu Land anders gehen.

«Brüssel/Berlin.» Morgen wird die Uhr mal wieder eine Stunde zurückgestellt. Möglicherweise ein letztes Mal auf die Winterzeit. Allerdings herrscht bei den Plänen der Europäischen Union zur Abschaffung der Zeitumstellung noch ziemliches Durcheinander.

Eine Stunde länger schlafen, mehr Licht am Morgen, dafür ein früherer Sonnenuntergang: In der Nacht auf Sonntag wird die Uhr wieder einmal eine Stunde zurückgestellt. Es ist ein seit Jahrzehnten übliches Ritual – bis Ende März gilt hierzulande dann die Winterzeit. Doch diesmal könnte es anders werden. EU-weit wird intensiv über die Abschaffung der Zeitumstellung diskutiert. Dabei droht aber reichlich Chaos. Doch der Reihe nach. Im September hatte die EU-Kommission vorgeschlagen, das Drehen an der Uhr abzuschaffen. Jeder Staat soll stattdessen ab kommendem Jahr selbst entscheiden können, ob er dauerhaft Sommer- oder Winterzeit will. Für die Brüsseler Behörde und ihren Chef Jean-Claude Juncker könnte dies eines der letzten großen Vorhaben werden, bevor die Amtszeit 2019 endet. Die EU-Kommission, der bisweilen bürgerferne Regulierungswut nachgesagt wird, gab sich bei dem Thema vermeintlich volksnah. In einer Online-Umfrage sprachen sich 84 Prozent der Teilnehmer für die Abschaffung der Zeitumstellung aus. Die meisten plädierten für eine dauerhafte Sommerzeit. 4,6 Millionen Antworten gingen bei der EU-Kommission ein – ein Rekord für diese Art von Befragungen, aber immer noch weniger als ein Prozent der EU-Bürger. Und: Allein drei Millionen Teilnehmer kamen aus Deutschland. Zur Überraschung so mancher Staaten verkündete Juncker daraufhin aber kurzerhand: „Die Leute wollen das, also machen wir das.“ Möglichst bis zur Europawahl im Frühjahr sollten Fakten geschaffen werden. Bis April sollen die Staaten sich überlegen, welche Zeit sie dauerhaft wollen. Für den Gesetzgebungsprozess der EU, in dem manche Vorhaben teils jahrelang ausverhandelt werden, wäre dies ein enormes Tempo. Doch vor allem unter den EU-Staaten, die wie das Europaparlament mehrheitlich zustimmen müssten, gibt es noch viele Fragezeichen. So heißt es, derzeit werde noch durchexerziert, was die Umstellung nicht nur für die Menschen, sondern auch für eine Reihe von Branchen bedeutet. Wie könnte sie sich auf den EU-Binnenmarkt, den Warenhandel, Bahn- oder Flugverkehr auswirken? Viele Staaten haben deshalb noch keine endgültige Position bezogen. Das bisherige Meinungsbild ist durchaus gespalten. Die baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen, die Mitteleuropa eine Stunde voraus sind, haben sich etwa für eine Abschaffung der Zeitumstellung und dauerhafte Sommerzeit ausgesprochen. Die Slowakei will permanente Winterzeit. Portugals Premierminister Antonio Costa spricht sich hingegen dafür aus, den halbjährigen Wechsel beizubehalten. Mündet das Ganze also in einen Flickenteppich? Schon jetzt gibt es drei Zeitzonen in der EU. In Deutschland und 16 weiteren Staaten gilt die mitteleuropäische Zeit. Acht Länder – neben den Balten sind dies Bulgarien, Finnland, Griechenland, Rumänien und Zypern – sind eine Stunde voraus. Drei Staaten sind eine Stunde zurück: Irland, Portugal und Großbritannien. Österreich, das derzeit den Vorsitz unter den EU-Staaten innehat, möchte Schlimmeres verhindern. Das Land hat sich bereits für eine ganzjährige Sommerzeit ausgesprochen. Allerdings will sich die Regierung in Wien mit den Nachbarländern für eine einheitliche Zeitzone in Mitteleuropa absprechen. Deutschland neigt offenbar ebenfalls zu ewiger Sommerzeit. „Die Mehrheit der Menschen will nicht mehr alle sechs Monate an den Uhren drehen, und die meisten wünschen sich eine dauerhafte Sommerzeit“, sagte Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU). Die Deutsche Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin spricht sich dagegen klar für eine Beibehaltung der Normalzeit aus – also gegen eine dauerhafte Sommerzeit. Aber wie gravierend wären unterschiedliche Zeitzonen? Lästig dürften sie allemal sein. Aber darüber hinaus? Für die Deutsche Bahn etwa wären dauerhaft verschiedene Zeitzonen unproblematisch. Die Fahrpläne für den grenzüberschreitenden Verkehr müssten dann bei Haltebahnhöfen im Ausland um die Anmerkung „Ortszeit“ ergänzt werden, sagte eine Bahnsprecherin. Problematischer sähe es im Flugverkehr aus. Die deutsche Luftverkehrswirtschaft fordert eine einheitliche Regelung. „Der drohende Flickenteppich von einzelnen nationalstaatlichen Regelungen würde die Planung der Fluggesellschaften und Flughäfen durcheinanderbringen“, so der Bundesverband der Luftverkehrswirtschaft. Im Europaparlament ist hingegen mehr Begeisterung für den Vorschlag der Kommission spürbar: Er müsse schnell verabschiedet werden, forderte der gesundheitspolitische Sprecher der konservativen EVP-Fraktion, Peter Liese (CDU). In Deutschland gibt es die Sommerzeit seit 1980. Seit 1996 stellen die Menschen in allen Ländern der Europäischen Union die Uhren am letzten Sonntag im März eine Stunde vor und am letzten Oktober-Sonntag wieder eine Stunde zurück. Dadurch soll das Tageslicht besser genutzt und Energie gespart werden. Der Nutzen ist jedoch umstritten. Manche Menschen klagen dagegen über gesundheitliche Probleme bei der Umstellung. Das trifft aber wohl vor allem jene, die glauben, welche zu haben.

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