Wissen Experte: Warum Polarlichter problematisch werden können
In den vergangenen Nächten konnten hierzulande die sonst eher seltenen Nordlichter beobachtet werden. Einer, der sich mit diesem Phänomen auskennt, ist Jürgen Matzka. Er forscht am GeoForschungsZentrum (GFZ) Potsdam über Geomagnetismus und Weltraumwetter. Im Interview mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) spricht Matzka über die nächtlichen Lichtphänomene, die aber auch Schattenseiten haben können.
KNA: Herr Dr. Matzka, Nordlichter hängen mit dem elfjährigen Sonnenzyklus zusammen, der demnächst wieder auf einen Höhepunkt zuläuft. Können wir bald auch hierzulande diese nächtlichen Lichtphänomene vermehrt sehen?
Matzka: In der Arktis gibt es sie fast in jeder Nacht, vor allem zwischen September und März. 2024 erwarten wir das Maximum im Sonnenzyklus - dann wird es die meisten Sonnenflecken, Sonnenstürme und magnetischen Stürme geben. Nordlichter werden vor allem in der abklingenden Phase zu beobachten sein, damit steigen auch bei uns die Chancen. Es sieht für die nächsten Jahre also gut aus. Und sie werden sicherlich stärker sein, als wir es in den letzten zehn, 15 Jahren erlebt haben.
Dann werden sie nicht nur in den Polarregionen zu sehen sein, sondern breiten sich auch weiter südlich aus - und können damit auch in Deutschland sichtbar sein, auch wenn das ein seltener Glücksfall ist.
Wann sind die besten Voraussetzungen dafür?
Bevorzugt treten Nordlichter im März und September auf. Das hängt mit dem Erdmagnetfeld zusammen, in diesen Monaten gibt es eine gute Einkopplung des Sonnenwindes auf die Erdatmosphäre. In der dunklen Jahreszeit sollte man dafür lichtarme Orte aufsuchen. Am ehesten, wenn man Richtung Norden guckt, können Polarlichter am Horizont sichtbar sein.
Bei einem Sonnensturm werden Polarlichter stärker. Ich habe in Grönland einmal ein Polarlicht direkt über mir gesehen, das war wirklich spektakulär. Sollte es in nächster Zeit starke Sonnenwinde geben, dann kann es auch in Italien Nordlichter geben - dann sehen wir sie hierzulande nicht nur am Horizont, sondern auch über uns.
Inzwischen gibt es auch Apps zur Vorhersage von Polarlichtern. Kann man ihnen trauen?
Diese Apps beziehen sich oft auf den sogenannten Kp-Index, er steht für „Kennziffer Planetar“. Der weltweit gebräuchliche Kp-Index wird von uns zur Verfügung gestellt, auf der Basis von Daten von 13 magnetischen Observatorien weltweit. Dieser Wert ermöglicht dann weltweit eine Nordlichtvorhersage für die nächsten Stunden.
Das klingt wenig mystisch. Früher hatten die Menschen dagegen noch Angst vor den magisch wirkenden Lichterscheinungen in der Nacht, sie wähnten Götter am Werk oder sahen darin die Seelen Verstorbener. Die Erklärung der Wissenschaft kommt bestimmt sehr nüchtern daher ...
Polarlichter entstehen durch Sonneneruptionen. Durch den dabei veränderten Sonnenwind werden Sonnenartikel durch das Weltall geschleudert. Je nachdem, wo diese Eruption auf der Sonne geschieht, treffen diese Partikel die Erdatmosphäre voll, andere schrammen daran vorbei oder berühren sie gar nicht. Wenn sie aber in das Magnetfeld der Erde eintreten, entstehen um den Nord- und Südpol Polarlichter.
Bleibt es nicht trotz allem reine Glückssache, ob wir so ein Naturschauspiel erleben können?
Ja und nein. Denn unabhängig vom Sonnenzyklus kann es jederzeit extrem starke Sonnenstürme geben. Sie treten zufällig auf, wenn auch sehr selten. Je stärker, desto zufälliger. So ein starkes Ereignis kann uns immer treffen, zu jeder Zeit im Jahr. Vor dem ganz großen Ereignis muss man immer auf der Hut sein.
Warum?
Weltraumphänomene wie Sonnen- oder geomagnetische Stürme wirken für Laien zwar weit entfernt; aber sie können einen direkten Einfluss auf unser Leben und vor allem unsere Technologien haben. Schon vor 100 Jahren rückte das Weltraumwetter in den Blick, als Telegrafenleitungen nach Sonnenstürmen unterbrochen worden sind. Umso wichtiger ist die Beobachtung solcher Phänomene heute.
Durch Sonnenwind verursachte elektrische Ströme können Transformatoren zerstören sowie den Funk- und Flugverkehr beeinträchtigen. Auch Satelliten - über die sehr viel an Kommunikation und Navigation läuft - können vorübergehend gestört oder dauerhaft beschädigt werden. Denn ohne Satelliten funktioniert heute kein Navigationsgerät, können keine aktuellen Fotos von der Erdoberfläche gemacht werden. Das ist etwa wichtig bei Naturkatastrophen wie jüngst beim Erdbeben in Marokko oder der Flutkatastrophe in Libyen, damit man weiß, wo die Einsatzkräfte überhaupt hinkommen können. Ohne Satelliten würde auch ein Großteil der Radio- und Fernsehübertragungen ausfallen, digitale internationale Finanztransaktionen wären nicht möglich.
Sollten wir uns in Zukunft also mehr für das Weltraumwetter interessieren?
Durchaus. Firmen und Organisationen, die es angeht, haben das inzwischen schon jetzt im Blick. In Großbritannien und den USA ist das Weltraumwetter bereits seit über zehn Jahren auch auf höchster politischer Ebene auf der Agenda; es wurden ständige Arbeitskreise eingerichtet, und es gibt klare Regelungen für die Betreiber sensibler Infrastruktur. Europa ist da noch nicht so weit.
Müssen wir uns Sorgen machen?
So gravierende Folgen sind Jahrhundertereignisse. Wichtig ist, dass die Zuständigen für die Infrastruktur sensibilisiert sind. Alle anderen sollten entspannt leben.