Panorama Fall Dutroux: Belgiens offene Wunde

Das ehemalige Haus des belgischen Kinderschänders Marc Dutroux in Sars-la-Buissiere. Der heute 61-Jährige wurde hier am 13. Augu
Das ehemalige Haus des belgischen Kinderschänders Marc Dutroux in Sars-la-Buissiere. Der heute 61-Jährige wurde hier am 13. August 1996 verhaftet.

Der Fall Dutroux steht für ein belgisches Trauma. Der Anwalt des Sexualmörders, Bruno Dayez, hat nun ein Buch veröffentlicht. Es ist eine Provokation.

Marc Dutroux. Mehr als diesen Namen braucht es nicht, um in Belgien heftige Reaktionen hervorzurufen. Sechs Mädchen entführte Dutroux in den 90er Jahren, folterte und vergewaltigte sie. Vier tötete er. Das Trauma sitzt tief im Nachbarland. Derzeit ist die Diskussion in Belgien wieder besonders heftig. Denn Dutroux’ Anwalt Bruno Dayez hat ein Buch geschrieben: „Pourqoui libérer Marc Dutroux“ (Deutsch: „Warum Marc Dutroux freigelassen werden sollte“). Der Sexualstraftäter sitzt seit 1996 in Haft, 2004 wurde er endgültig zu lebenslanger Haft verurteilt. Lebenslang? Dayez sagt, 25 Jahre Haft seien genug. Danach habe jeder ein Recht auf ein neues Leben in der Gesellschaft. Dieses Recht müsse auch für Dutroux gelten, dessen Komplizin und Ex-Frau 2012 vorzeitig frei kam. Der Fall des heute 61-jährigen Dutroux hat die belgische Gesellschaft wie kein anderer erschüttert. Die Grausamkeit des Kriminellen, laut Gerichtsurteil ein Psychopath, entsetzte die Menschen. Dayez’ Buch ist daher eine Provokation – nicht nur für die Angehörigen der Opfer. Ein Blogger veröffentlichte beispielsweise ein Video, in dem er das Buch verbrennt und Dayez bedrohte. Das Nachrichtenmagazin „Le Vif/L’Express“ hob den Fall Dutroux fast 22 Jahre nach der Festnahme wieder auf den Titel. Die Haltung der Angehörigen von Dutroux’ Opfern ist klar. Gino Russo veröffentlichte ein Video seiner Tochter Melissa, in dem sie mit anderen Kindern tanzt. Es sei wenige Tage vor ihrem Verschwinden im Juni 1995 aufgenommen worden, schreibt er. Ob Dutroux freigelassen werden sollte? Eine überflüssige Debatte, findet Russo. Melissa starb in Dutroux’ Kellerverlies. Ebenso wie Julia, die zum Zeitpunkt ihrer Entführung acht Jahre alt war. Ihr Vater Jean-Denis Lejeune sieht es wie Russo: „Der Typ ist ein Psychopath.“ Aus seiner Sicht hat Dutroux keine Chance, in die Gesellschaft eingegliedert zu werden. „Wir sollten da nicht mehr drüber reden, wir sollten ihn nie wieder sehen.“ Anwalt Dayez selbst spricht ruhig und besonnen. In dieser Debatte dürfe man sich nicht von Emotionen leiten lassen, sagte er. Sein Buch bezeichnet er als Werk der Vernunft. Der Staat dürfe Kriminelle und Mörder nicht behandeln, wie diese ihre Opfer behandelt hätten. Ein Rechtsstaat verfahre nicht nach dem Prinzip „Auge um Auge“. Völlig naiv sei er jedoch nicht. Er wisse, dass bei seinem Mandanten nur eine Freilassung unter Auflagen in Frage komme. Allerdings lehnte die Brüsseler Haftprüfungskammer Dutroux’ Antrag, die restliche Haftstrafe im Hausarrest absitzen zu dürfen, schon 2013 ab. „Es gibt überhaupt keine Aussicht auf Wiedereingliederung in die Gesellschaft“, sagte der Gerichtspräsident Luc Hennart damals. Anwalt Dayez hat eine andere Sicht: „Ich treffe einen Mann, ich treffe weder ein Monster noch einen Zombie“, sagte er über die Besuche im Gefängnis. Doch selbst wenn die Gerichte irgendwann Dutroux’ Entlassung zustimmen würden: Die belgische Regierung könnte immer noch einschreiten – und eine zusätzliche Sicherungsverwahrung von zehn Jahren verhängen.

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