Brauchtum Kulturkampf in den Alpen: Das Kreuz mit dem Gipfelkreuz

Gipfelkreuz des 1800 Meter hohen Eisberg in den Berchtesgadener Alpen im Morgengrauen.
Gipfelkreuz des 1800 Meter hohen Eisberg in den Berchtesgadener Alpen im Morgengrauen.

Fast jeden Alpengipfel ziert ein Kreuz. Obwohl niemand daran denkt, diese zu verbannen, gibt es darüber in Italien und Österreich eine Debatte . Jetzt schwappt sie nach Deutschland.

Das Kreuz am Gipfel: Für die meisten ist es das Zeichen für das Erreichen des Ziels und Motiv fürs Selfie, für andere gehört es zur Tradition oder hat eine religiöse Bedeutung. Tausende Kreuze gibt es in den Alpen, allein Österreich hat an die 4000. Dort und in Italien ist ein Streit entbrannt, ob weitere Kreuze aufgestellt oder vielmehr bestehende abgebaut werden sollen – obwohl weder das eine noch das andere ausdrücklich gefordert wurde.

„Die Realität ist: Auf nahezu jedem nennenswerten Gipfel in den bayerischen Alpen steht schon ein Gipfelkreuz“, sagt Thomas Bucher vom Deutschen Alpenverein (DAV). „Die Frage, ob neue Kreuze aufgestellt werden sollen, stellt sich nicht.“ So etwa sehen es auch der Österreichische Alpenverein (ÖAV) und der Alpenverband Club Alpino Italiano (CAI). Der Extrembergsteiger Reinhold Messner, sonst nicht immer einer Meinung mit dem Alpenverein, äußerte sich ähnlich. „Es kreuzelt allerorten.“ Überall stünden schon Kreuze, „es reicht im Großen und Ganzen.“ Es sei eine regelrechte „Manie, auf jeden Hügel oder Berg ein Kreuz aufzustellen.“ Keine neuen Kreuze, aber morsche ersetzen: Das ist Messners Linie, und im Wesentlichen die der Alpenvereine.

Söders Kreuz-Erlass

Kein Grund zum Streit also. Doch plötzlich ging es um einen „Kulturkampf“. Tradition, Identität, Religion – Politiker konservativer Parteien entdeckten das Thema für sich. In Österreich heizte die Aussage des ÖAV-Präsidenten Andreas Ermacora, man solle keine neuen Kreuze mehr aufstellen, die Debatte an. Man sei „hier konträrer Meinung“, hieß es aus der Österreichischen Volkspartei (ÖVP). „Gipfelkreuze sind Teil unserer christlichen Tradition und unserer alpinen Kultur“, sagte Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig.

Den Ausgang nahm der Disput in Italien mit einer Aussage des CAI-Publizisten Marco Albino Ferrari, Kreuze würden nicht mehr alle Bergsteiger ansprechen. Niemand wolle bestehende Kreuz entfernen, es sollten aber keine weiteren aufgestellt werden. Die rechte Regierungspartei Fratelli d’Italia verlangte erbost: „Hände weg von den Kreuzen auf unseren Bergen.“ Matteo Salvini von der rechtspopulistischen Lega twitterte, der Vorschlag, Kreuze auf den Bergen zu verbieten, sei eine Dummheit ohne Herz und Verstand. Dabei war von einem Verbot nie die Rede.

Inzwischen positioniert man sich auch im katholischen Bayern, wo das Kreuz seit jeher hohe Bedeutung hat. Man erinnere sich an den umstrittenen Kreuzerlass, initiiert 2018 vom damals neuen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU), nach dem in jeder Landesbehörde ein Kreuz hängen solle. „Das Gipfelkreuz gehört auf den Berg wie der weißblaue Himmel zu Bayern“, sagte nun zur aktuellen Kreuz-Debatte CSU-Generalsekretär Martin Huber.

Holzphallus statt Kreuz

Bayerns Landtagspräsidentin Ilse Aigner (CSU), selbst Bergsteigerin, sagte: „Lasst unsere Gipfelkreuze in Ruhe! Die Leute aus der Region schütteln darüber nur den Kopf. Das versteht keiner bei uns.“ Offen bleibt dabei, an wen sich all die Kreuz-Appelle richten. Denn meist kümmern sich Ehrenamtliche um die Gipfelkreuze.

Manchmal wurden laut Thomas Bucher vom Alpenverein Kreuze nach den Weltkriegen aufgestellt, aus Dankbarkeit für das Überleben. Andere gingen auf Wetterkreuze zurück, die Hirten und Waldarbeiter an Übergängen und Pässen aufstellten, um für einen unfallfreien Auf- und Abstieg zu danken.

Im Himalaya flattern auf den Höhen übrigens Gebetsfahnen; als Mitbringsel hängen sie inzwischen auch in Bayern neben manchem Kreuz. In den Westalpen zieren die höchsten Punkte teils Steinpyramiden oder Madonnen, etwa am markanten Dent du Géant in der Montblanc-Gruppe.

Eine andere Gipfelfigur etablierte sich am Grünten im Allgäu: Ein zwei Meter großer Holzphallus, der vor zwei Jahren mehrfach umgesägt und wieder aufgebaut wurde. Auch Gipfelkreuze in Bayern und in der Schweiz wurden vor Jahren mit Axt und Säge bearbeitet. Wem Kreuze oder Phallus nicht gefielen und warum, blieb offen.

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