Kriminalität Vor 50 Jahren: Als die Münchner Polizei gegen Gangster und Gaffer kämpfte
Es waren Szenen, die heute unvorstellbar sind: In einer Münchner Bankfiliale nehmen bewaffnete Räuber Geiseln. Vor der Tür rangeln Tausende Gaffer um die beste Sicht. Es herrscht Volksfeststimmung mit Geklatsche und Gejohle. Gleichzeitig streiten Polizei und Staatsanwaltschaft hinter den Kulissen um die Einsatzleitung. Am Ende ballern nicht dafür ausgebildete Beamte auf einen mitsamt Geisel im Fluchtauto sitzenden Täter – live übertragen im Fernsehen. Beide sterben. Am 4. August jährt sich der erste Bankraub mit Geiselnahme in der Geschichte der Bundesrepublik zum 50. Mal.
Die Polizei ist nicht ansatzweise auf ein solches Szenario vorbereitet, als Hans Georg Rammelmayr und Dimitri Todorov, damals 31 und 24 Jahre alt, an jenem Mittwochnachmittag im Jahr 1971 die Filiale der Deutschen Bank auf Münchens Prachtmeile Prinzregentenstraße überfallen. Die beiden wählen fünf Geiseln aus, schicken die anderen Angestellten und Kunden in die Freiheit und fordern zwei Millionen D-Mark, einen Fluchtwagen und freies Geleit. Andernfalls würden sie die Geiseln töten.
Kinder auf den Schultern
Während das Geld herbeigeschafft wird, sammeln sich vor der Filiale nicht nur mehrere Hundertschaften der Polizei, sondern auch Tausende Zuschauer. „Väter nahmen ihre Jüngsten zwecks besserer Sicht huckepack, Mädchen in Hotpants schäkerten mit Polizisten, die ihre Maschinenpistolen verschämt zur Seite drückten. Auf der Freßterrasse des Feinkostgeschäfts Käfer ließen Twens in Maßanzügen Sektpfropfen in den Himmel knallen“, schildert es damals ein Reporter der „Zeit“.
Derweil zieht Oberstaatsanwalt Erich Sechser die Einsatzgewalt an sich, gegen den Widerstand des Polizeipräsidenten. Damit setzt sich die harte Linie durch: Sechser entscheidet, die Täter auszuschalten. Der Moment kommt gegen Mitternacht, als Rammelmayr sich nach achtstündigen Verhandlungen zu der gefesselten und mit verbundenen Augen im Fluchtwagen sitzenden, erst 20-jährigen Ingrid Reppel setzt: Ein Kugelhagel zersiebt den Wagen. Rammelmayr stirbt noch vor Ort, Reppel bald darauf auf dem OP-Tisch. Der heute 74-jährige Todorov ergibt sich nach einer weiteren Schießerei in der Bankfiliale, sitzt anschließend 22 Jahre lang im Gefängnis.
Todesschuss als letztes Mittel
Die Kritik an dem Einsatz beginnt umgehend und hält bis heute an: „Es war völlig klar, dass Sechser billigend in Kauf genommen hat, dass auch die Geisel zu Tode kommt“, sagt Polizeirechtsexperte Michael Kniesel rückblickend. Dies sei aus heutiger Perspektive völlig unvorstellbar. „Für mich war das ein strafrechtlich relevantes Verhalten.“
Zumindest sind die strukturellen Defizite, die damals am tragischen Ausgang beteiligt waren, inzwischen gelöst. „Das ist eine Initialzündung gewesen, um einige Dinge zu ändern, aber das hat teilweise 20, 30 Jahre gedauert“, resümiert Polizeiwissenschaftler Thomas Feltes.
So ist inzwischen klar, dass in solchen Fällen ein Einsatzleiter der Polizei das Sagen behält und deren Gefahrenabwehrauftrag über dem Strafverfolgungsauftrag der Staatsanwaltschaft steht. Dieser Einsatzleiter würde heutzutage auch niemals mehr persönlich vor Ort etwa mit den Geiselnehmern sprechen. Dafür gibt es eigens geschaffene Verhandlungsgruppen – so wie es auch Spezialeinsatzkommandos gibt, die den nach harten politischen Debatten zwischenzeitlich in den meisten Polizeigesetzen verankerten „gezielten Todesschuss“ als letztes Mittel bei einer Gefährdung Dritter auch ausführen können.
Schießtraining in einer Kiesgrube
„Da sind heute Präzisionsschützen am Werk, die von zwei oder drei Standorten genau zum gleichen Zeitpunkt das zwei Euro große Stammhirn ins Visier nehmen, um auszuschließen, dass nicht doch noch irgendeine Reaktion erfolgt“, erläutert der ehemalige Bonner Polizeipräsident Kniesel. In München absolvierten damals Hobby-Jäger unter den Polizisten noch rasch ein Schießtraining in einer Kiesgrube, weil außer ihnen niemand mit einem Gewehr umgehen konnte. Die Geisel starb dennoch, getroffen von fünf Kugeln, mutmaßlich auch abgegeben vom Geiselnehmer in seinen letzten Zuckungen.
Dabei gab es vorher mehrere Sekunden lang eine ideale Möglichkeit, den alleine zum Auto laufenden Rammelmayr zu treffen. „Es ist ja erst geschossen worden, als der Täter schon im Fahrzeug sitzt, das ist eindeutig zu spät gewesen“, urteilt Feltes. Deshalb sei auch die Geisel gestorben: „Da spielt es keine Rolle, ob durch Schüsse der Polizei oder durch Schüsse des Geiselnehmers.“
Grund für die Verzögerung waren wohl die Abläufe beim Erteilen des Schießbefehls. Auch diese sind heute anders geregelt. Und heute würde, so betont Feltes, ein Scharfschütze den Befehl verweigern, wenn er eine Gefahr für die Geisel erkenne. „Das war damals nicht denkbar.“