Weinwissen Historische Rebsorten: Fast vergessene Weine wiederentdecken

Bei der Bestimmung der Rebsorten betrachten Ampelografen unter anderem die Triebe, die Blüte und die Traubenform.
Bei der Bestimmung der Rebsorten betrachten Ampelografen unter anderem die Triebe, die Blüte und die Traubenform.

800 Rebsorten hat es früher in Deutschland gegeben – etwa 100 davon werden heute noch angebaut. Rebenretter Ulrich Martin erklärt, warum es zum Sortensterben kam und wie er und sein Kollege die Weinvielfalt wiederbeleben.

Mehr als 100 Rebsorten werden hierzulande angebaut. Was viel erscheinen mag, ist in Wahrheit nur ein Bruchteil der Vielfalt, die einst die Weinberge bevölkerte. Etwa 800 verschiedene Rebsorten haben über Jahrtausende die deutsche Weinlandschaft bestimmt – heute ist ein Großteil von ihnen vergessen oder ausgestorben. Es sind die Eltern, Schwestern und Vorfahren bekannter und beliebter Sorten wie Riesling oder Spätburgunder, die wir heute als historische Rebsorten kennen und deren Wurzeln teilweise bis zu 8000 Jahre zurückreichen. In Anbetracht dieser gewaltigen Zeitspanne ist es bemerkenswert, dass die meisten Sorten erst vergleichsweise spät verloren gegangen sind.

Sortensterben durch Eingriffe des Menschen

Laut Ulrich Martin, Leiter des Projekts „Historische Rebsorten“, kam es erst vor etwa 200 Jahren zum Verlust dieser biologischen Vielfalt. Dabei handele es sich keineswegs um eine natürliche Auslese, wie Martin betont, die Gründe für das Sortensterben seien größtenteils menschengemacht. Durch die kleine Eiszeit, die bis ins 19. Jahrhundert andauerte, sei bereits ein Großteil der Weinberge in Mitleidenschaft gezogen worden – viele mussten neu bepflanzt werden. Die Reblaus, die 1860 aus Nordamerika eingeschleppt wurde und die bis heute als einer der verheerendsten Schädlinge im Weinbau gilt, richtete zusätzlich große Schäden in den europäischen Weinbaugebieten an.

Sortenreiner Anbau statt Mischsatz

Die darauffolgende Rekultivierung der zerstörten Anbauflächen war begleitet von einem Umdenken. Anstelle des Mischsatz, bei dem verschiedene Rebsorten durcheinander gepflanzt wurden setzte man von nun an vermehrt auf den sortenreinen Anbau. Dadurch befassten sich auch die damaligen Rebsortenkundler, sogenannte Ampelografen, erstmals intensiv mit den einzelnen Sorten.

Da die verschiedenen Reben im Mischsatz lange nur als Gruppen betrachtet wurden, kam es hierbei allerdings vermehrt zu Fehlern bei der Bestimmung. So wurden beispielsweise eigenständige Sorten nur als Synonym anderer verstanden und somit über die Jahrhunderte nicht als individuelle Rebsorte erkannt. Der Blaue Arbst etwa wurde lange als Synonym des Pinot noir gesehen, bevor er 2008 als individuelle Sorte identifiziert werden konnte.

Schließlich hinterließen auch die beiden Weltkriege ihre Spuren in der Geschichte des deutschen Weinbaus. Die Nationalsozialisten erließen ein Gesetz, das den Winzern vorschrieb, welche Reben sie fortan anpflanzen durften. Diese sogenannte Positivliste enthielt nur noch 18 Sorten, der Anbau nicht gelisteter Weine wurde bestraft.

400.000 Meldungen alter Rebstöcke

Wie als Antwort auf das restriktive Gesetz der Faschisten finanzierte die Bundesregierung 2007 ein dreijähriges Forschungsprojekt, um die noch vorhandenen alten Rebsorten in Deutschland zu erfassen. Bis zu 400.000 Meldungen von alten Weinstöcken in bereits aufgegebenen Weinbergen, in Waldstücken oder an Hauswänden gingen seither bei Andreas Jung ein, der mit der Identifikation der gefundenen Reben betraut wurde.

Der Ampelograf hat bei der Bestimmung der Rebsorten eine besondere Herangehensweise. Anstatt sich auf bloße computerbasierte Gentests zu verlassen, arbeitet er historisch. Dazu vergleicht er seine Beobachtungen mit den Beschreibungen und Bildern der damaligen Rebsortenkundler, denn auch eine computergenerierte Datenbank müsse erst mit verlässlichen Informationen bestückt werden, um Ergebnisse liefern zu können. Dabei bezieht Jung den Klimawandel und den Verlauf der Menschheitsgeschichte in seine Forschungen mit ein.

Vergessene Sorten wieder komerziell nutzen

Etwa 400 Rebsorten hat er mit dieser Methode gefunden, von denen viele bis zu ihrer Wiederentdeckung als ausgestorben oder nicht existent galten. Die restlichen historischen Rebsorten dürften unwiederbringlich verloren gegangen sein. Um den wiederentdeckten Sorten dieses Schicksal in Zukunft zu ersparen und sie wieder erlebbar zu machen, schlossen sich Martin und Jung zum Projekt „Historische Rebsorten“ zusammen.

Als Rebschulist baut Ulrich Martin die Rebsorten wieder auf. Das Veredeln und Vermehren der Reben ist notwendig, damit die Sorten wieder kommerziell angebaut werden können. In der wiederentdeckten Vielfalt sieht er vor allem eine Chance für die Winzer, auf den sich vollziehenden Klimawandel reagieren zu können. Die historischen Sorten, die seit Jahrhunderten Wind und Wetter wiedererstehen, bieten sich als klimaerprobte Alternativen an, wenn die wenigen klassischen Sorten der deutschen Winzer dem sich wandelnden Klima nicht mehr gewachsen sind.

Historischen Wein heute wieder genießen

Gefördert durch das Projekt, sind viele der alten Sorten mittlerweile wieder als Weine erhältlich. Da sie früher im Mischsatz angebaut wurden, ist über den Geschmack der einzelnen Rebsorten wenig überliefert. „Geschichte schmecken“ nennt Martin es, wenn die historischen Sorten jetzt erstmals sortenrein probiert werden können. Die Weintrinker und -genießer würden dabei zu „Archäologen der Weinaromen“. Sie bilden das letzte Glied in der Kette der „Rebenretter“, denn ein Wein, der getrunken wird, besteht auch fort.

Mehr Informationen zum Projekt „Historische Rebsorten“ und den wiederentdeckten Weinen finden Sie unter: historische-rebsorten.de

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