Reportage Zu Gast bei Miriam Kühnel von der Band Miri in the Green im südpfälzischen Berg

Meistens entspannt: Miri in the Green.
Meistens entspannt: Miri in the Green.

Eine Band aus dem südpfälzischen Berg hat beim Deutschen Rock- und Pop-Preis 2022 und 2023 gleich mehrfach abgesahnt – und das auch mit charmanten französischen Chansons. Wir haben Frontfrau Miriam Kühnel von Miri in the Green besucht.

Der Schlüssel an der Haustür steckt von außen, wenn ein Gast erwartet wird. An Stelle einer Klingel baumelt ein Kabel aus der Wand. Ich klopfe trotzdem lieber laut an, bevor ich zaghaft die Tür öffne. Miriam Kühnel, Frontfrau der Band Miri in the Green, eilt mir entgegen: „Wir wohnen ja erst seit zehn Jahren hier“, sagt sie mit Blick auf die fehlende Klingel und mit einem ansteckenden Lachen. Vierbeiner Blacky holt sich unterdessen fröhlich bellend ein paar Streicheleinheiten ab. Was für eine herzliche Begrüßung!

Schon fühle ich mich mittendrin in einer eigenen Welt, geprägt von dem gewissen Laisser-faire, das man den Franzosen gerne nachsagt. Französische Wurzeln hat die Singer-Songwriterin, zu deren Repertoire französische Chansons zählen, allerdings nicht: Sie stammt aus Berlin. Und ihre Titel entstehen zwar nahe der französischen Grenze, aber doch in der Pfalz, genauer gesagt: mitten in einem gepflegten Wohnviertel im südpfälzischen Dorf Berg.

Intensive Performance: Miri in the Green live.
Intensive Performance: Miri in the Green live.

Die melancholischen, akustischen Chansons und die mitreißend modernen Pop-Chansons, die ein bisschen an Zaz erinnern – ergänzt von rockigen Songs auf Englisch – haben gerade beim Deutschen Rock- und Pop-Preis abgesahnt. Auch das Fernsehen ist auf Miri in the Green aufmerksam geworden: Miriam Kühnel war kürzlich zu Gast in der SWR-Landesschau. Vor allem aber findet die „Musik für eine buntere Welt“, wie die Bandmitglieder ihren Stil beschreiben, immer mehr Freunde. Die Band habe Bühnen wie die Scenariohalle oder das Mikado in Karlsruhe über die Jahre lieben gelernt, sagt Miri. Konzerte im Grünen wie auf der Hohe-Loog-Hütte im Pfälzerwald, beim Fest am See in Karlsruhe, im Tollhaus-Biergarten oder im Landauer Goethe-Park sind zu einem Markenzeichen geworden.

Auf eine Tasse Kaffee

Eigentlich wollen wir ja auch ins Grüne. Für ein Picknick passt das Wetter nicht so recht, und so gibt es vor dem Spaziergang im Wohnzimmer eine Tasse Kaffee. Frisch aufgebrüht duftet er köstlich. Fehlen nur Croissants, Baguette und Marmelade – und das schlichte französische Frühstück wäre perfekt. Manchmal sind eben gerade die einfachen Dinge des Lebens die besten. Das findet Miri jedenfalls, die sich im beschaulichen Berg sehr wohl fühlt, wie sie betont. Auch wenn sie mit ihrem urbanen Outfit ebenso wie ihr Häuschen mit dem etwas klapprigen Gartentor und den Apfelbäumen und wuchernden Büschen rundum angenehm erfrischend aus dem Rahmen fällt.

Mit der Autoharp auf der Lauterbrücke.
Mit der Autoharp auf der Lauterbrücke.

Die viel jünger wirkende, mädchenhaft schlanke 50-Jährige ist dabei nicht von ungefähr frankophil: „Ich bin in einem weltoffenen Haushalt aufgewachsen mit Gastschülern aus Frankreich, Italien und anderen Ländern“, erzählt sie. So zieht es sie nach dem Abitur denn auch hinaus in die weite Welt: Sie studiert zwei Jahre lang in Marseille. Im preisgekrönten Song „Je me souviens“ erinnert sich Miri liebevoll daran. „Es ist eine Hommage an meine Lebenszeit in der Provence und an meine jugendliche Unbeschwertheit, an die ich gerne zurückdenke. An Marseille mit seinen Hochstraßen, den Menschen aus allen Kontinenten und den wahnsinnigen Märkten, an die schattigen Gassen in Aix, an die Platanen in Vauvenargues oder die Côte bleu mit den Calanques.“

Schließlich kehrt sie aber doch zurück nach Deutschland, zum Architekturstudium in Karlsruhe. Zum Glück, denn hier lernt sie ihren Ehemann, den Bassisten Jürgen Zimmermann, kennen, und erfährt durch ihn ihre Berufung zur Musikerin. Über ihn kommt sie in Kontakt mit seiner damaligen Band Jonny Las Vegas, die Miris weiteren musikalischen Werdegang stark prägen wird: „Die Erfahrung, mit anderen zusammen Musik und einen Sound zu schaffen, der groovt, die habe ich zum ersten Mal richtig mit Jonny Las Vegas gemacht.“

Die geduldige Klavierlehrerin

Während Miri mit der French Press den Kaffee zubereitet und Blacky es sich unterm Tisch gemütlich macht, zieht der stattliche Kontrabass von Miris Ehemann Jürgen in einer Ecke des großzügigen, offenen Koch-, Ess- und Wohnbereichs meinen Blick magnetisch an. Daneben und davor Gitarren, ein Schlagzeug, Keyboard, Akkordeon, Notenständer und weitere Instrumente. Der Proberaum ist zweifellos das Herz dieser Wohnung, Miris Welt voller Musik. An der Wand schräg gegenüber steht ein Klavier. Ob Miri daran ihre Songs komponiert? Das Klavier sei zwar seit Jahren ihr Hauptarbeitsmittel, die Noten gehörten aber ihrem Sohn, entgegnet die sympathische Singer-Songwriterin und schmunzelt.

Ein Markenzeichen der Band: Chansons mit Akkordeon.
Ein Markenzeichen der Band: Chansons mit Akkordeon.

Sie selbst könne nur rudimentär Noten lesen, gesteht sie und kommt ins Plaudern: „Einmal die Woche hatte ich als Kind Klavierunterricht. Ich habe sehr gern am Klavier gesessen und gespielt, aber ich war zu faul, richtig zu üben, Noten zu lesen und schwere Stellen zu wiederholen, habe stattdessen lieber ältere Stücke gespielt, die ich schon auswendig konnte, oder vor mich hingespielt.“

Trotzdem sei ihre erste Klavierlehrerin, eine Chinesin namens Xoying, schon damals von ihrer Begabung überzeugt gewesen. „Sie wollte unbedingt, dass ich die Lust am Instrument behalte, weshalb sie mir sehr nett und geduldig jedes Stück immer zuerst vorspielte, wobei die Noten natürlich aufgeschlagen da standen. Weil ich aber schneller hören als Notenlesen konnte, habe ich statt in die Noten immer auf ihre Finger geguckt und mir gleichzeitig per Gehör das Stück gemerkt.“ Die Noten seien für sie auf diese Weise lediglich Anhaltspunkt gewesen.

„Diese Fähigkeit habe ich ungewollterweise über Jahre trainiert, so dass ich leider bis heute nicht wirklich Noten lesen, geschweige denn etwas vom Blatt spielen kann.“ Sie komponiere nach Gehör, inzwischen auch sehr viel mit der Autoharp, ergänzt Miri – und zeigt, wie diese Art Zither mit vielen Saiten und Knöpfen funktioniert: Der Druck auf die Knöpfe erzeugt beim Streichen über die Saiten gleich die richtigen Akkorde und den Sound, der irgendwie nach Harfe klingt. „Das Instrument hat mir viele neue Möglichkeiten eröffnet, Songs zu komponieren.“

Immer in Bewegung

Die Ideen dafür kommen ihr nicht etwa an Lieblingsplätzen wie dem Baggersee bei Berg, erfahre ich, als wir uns mit Blacky zur Spazierrunde ins Grüne aufmachen. „Zwiebelprinzip ist wohl das Beste“, sinniert Miri und greift zu Schal und Lederjacke, um sich gleich wieder der Musik zuzuwenden: „Viele Songs entstehen, wenn ich rumlaufe oder irgendwo unterwegs bin.“ Als wir die Straße runterlaufen, erzählt sie, dass hier weitere Bandmitglieder wohnen, darunter Saxofonist Reinhard André. Dieser Nachbarschaft ist es laut Kühnel zu verdanken, dass es Miri in the Green überhaupt gibt. Bei der Organisation eines Dorffests haben die Musiker zusammengefunden.

Spaziergang mit Blacky im Grünen: Miriam Kühnel.
Spaziergang mit Blacky im Grünen: Miriam Kühnel.

Wir lassen die Häuser hinter uns, passieren ein Maisfeld. Ein Hahn kräht. Ansonsten herrscht herrliche Ruhe – auch an der Lauter, die hier allerdings nicht die Grenze zu Frankreich markiert. „Die Grenze ist weiter da hinten“, erklärt die Musikerin und gerät beim Gedanken an Frankreich wieder ins Schwärmen. Es sei die „Schönheit des Landes gepaart mit dem Stolz der Landsleute“, was sie am Nachbarland fasziniere. „In Frankreich kann man so schön selbstbewusst sein.“

Sinnkrise als Initialzündung

Eine uralte knorrige Eiche markiert eine Kreuzung auf dem Weg zum Baggersee, der jetzt steiniger ist. Blacky darf von der Leine, schnuppert hier und hebt dort das Beinchen. Ein Trampelpfad zweigt schließlich ab zum völlig verwaisten Weiherufer. In der stillen Natur-Idylle erzählt Miri dann von ihrem „Coming-out als Songwriterin“, wie sie es nennt: Von einer Sinnkrise mit Mitte 40 als Initialzündung. 2018 habe sie alles hinterfragt, ihr Leben, ihre Ehe, bisherige Entscheidungen, „wo ich war. Einfach alles“, sagt sie. Genau in dieser Phase habe sie ihren ersten Song geschrieben: „Beau caillou“ – schöner Kieselstein. Der Titel erzählt die Geschichte einer Person, die auf ihrem Lebensweg einen schönen Kieselstein findet, in den sie sich verliebt. Aber ein Stein kann die Liebe eben nicht erwidern ... Von da an sprudeln die Songs nur so aus ihr heraus. Der innere Druck bricht sich Bahn in ungestümer Kreativität. „Es war, als hätte sich ein Ventil geöffnet“, erinnert sich Kühnel. Ganz einfach sei das für ihre Bandkollegen nicht gewesen, räumt sie ein: „Ich wollte die Lieder dann auch gleich alle spielen.“

Bis heute ist Miris Drang, Lieder zu schreiben, ungebrochen. Wenngleich viele Gute-Laune-Stücke entstanden sind, bleibt die Melancholie eine wichtige Begleiterin ihrer Kunst. In „Au revoir ma chère amie“ besingt sie etwa den Abschied von Helene Malik, der Sängerin der Band Jonny Las Vegas, „der ich so viel zu verdanken habe und mit der ich so gerne noch mal Musik gemacht hätte.“ Sie habe immer gehofft, dass Helene vielleicht Lust hätte, bei Miri in the Green einzusteigen, wenn die Band nur endlich gut genug wäre. „Und dann ist sie 2022 einfach überraschend gestorben.“ Das habe sie sehr getroffen, gesteht Kühnel.

„Ungefähr zeitgleich mit Helenes Tod hat dann Putin auch noch alle meine Hoffnungen auf ein friedliches Europa und eine weltweite Öffnung und Zusammenarbeit zunichte gemacht. Beides habe ich in dem Song verarbeitet.“ Zugleich steht die Band mit den zweisprachigen Songs unbeirrt weiterhin mit ihrer Musik für eine buntere Welt. Und dass Weltoffenheit für Miriam Kühnel mehr als nur ein Wort ist, zeigt sich ja schon an ihrer Haustür.

Bandgeschichte und Besetzung

Anfänge in Karlsruhe

In Kontakt mit der Karlsruher Musikszene kam Miriam Kühnel über die Gruppe Jonny Las Vegas um den Künstler, Sänger und Songschreiber Mike Überall mit Helene Malik, Herbie Erb und Björn Schäfle. Jürgen Zimmermann, Ehemann von Kühnel, war Bassist und ebenfalls Songschreiber von Jonny Las Vegas. Nach eigenen Angaben prägte diese Band Kühnels weiteren Weg.

Gründung und Werdegang

Die Band Miri in the Green wurde 2015 zunächst als Spaßprojekt und bunte Coverband gegründet, die Songs von ZAZ, Janis Joplin, Bob Dylan, George Gershwin, Neil Young, Sheryl Crow und anderen gespielt hat. Ab 2017 ergänzten eigene Stücke von Bassist Jürgen Zimmermann das Repertoire von Miri in the Green, seit 2018 auch eigene Songs von Miriam Kühnel. Seit 2019 sind nur noch eigene Stücke von Miriam Kühnel und Jürgen Zimmermann im Programm. Im kommenden Jahr feiert die Band ihr zehnjähriges Bestehen mit einem Jubiläumskonzert am 15. Februar im Tollhaus in Karlsruhe. Infos: www.miriinthegreen.de

Urbesetzung von Miri in the Green:

Miriam Kühnel, wohnhaft in Berg: Gesang, Keyboard, Akkordeon

Thomas Herzig aus Berg: Leadgitarre, Backgroundgesang

Reinhard André aus Berg: Saxofon, Mundharmonika

Jürgen Zimmermann aus Berg: Kontrabass und E-Bass

Günter Logé aus Berg: Schlagzeug. Günter Logé leitet auch den Jazzclub in Wörth.

Ulrich Gehrlein aus Darmstadt: Rhythmusgitarre, Mandola, Banjolele.Er gehört seit 2016 zur Band.

Aktuelle Besetzung:

Miriam Kühnel: Songwriting, Gesang, Keyboard, Akkordeon, Autoharp

Herbie Erb aus Karlsruhe: Leadgitarre, Backgroundgesang, Quattro; seit 2018 dabei

Reinhard André aus Berg: Saxofon, Mundharmonika

Regina Fischer aus Karlsruhe: Saxofon, Querflöte, Backgroundgesang, seit 2023 dabei

Ulrich Gehrlein aus Darmstadt: Rhythmusgitarre, Mandola, Banjolele

Jürgen Zimmermann aus Berg: Songwriting, Kontrabass und E-Bass

Heinz Rothermel aus Langensteinbach: Schlagzeug, seit 2022 dabei

Discographie von Miri in the Green

„Sunday Afternoon“ (2018)

„Beau caillou“ (2019)

„40 in a Room“ (2022 – als Teil 1 des Doppelalbums „Wasting My Time“)

„Ce qui reste“ (2023 – als Teil 2 des Doppelalbums „Wasting My Time“)

Eine neue CD ist in Arbeit, CD-Release-Party: 5.10.2025, Tempel, Karlsruhe

Auszeichnungen

Das Album „40 in a Room“ wurde beim 40. Deutschen Rock- und Pop-Preis (2022) in verschiedenen Kategorien als Album ausgezeichnet. Mit dem Opener „Je me souviens“ wurde Miriam Kühnel zudem in der Hauptkategorie „Deutscher Singer/Songwriter-Preis“ prämiert. Das Album „Ce qui reste“ wurde 2023 an gleicher Stelle zum „besten Chansonalbum“ gekürt.

Nächster Live-Auftritt: Fr 27.9., 20 Uhr, Karlsruhe, Mikado, Karten: kontakt@mikadokultur.de

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