Rheinland-Pfalz Jüdisches Ritualbad in Herxheim am Berg: Zeugnis jüdischer Geschichte

Im Keller eines Privathauses: der Zugang zur Mikwe für jüdische Ritualbäder in Herxheim.
Im Keller eines Privathauses: der Zugang zur Mikwe für jüdische Ritualbäder in Herxheim.

Der Keller eines Privathauses aus dem 18. Jahrhundert in Herxheim am Berg birgt eine Mikwe – Gemeinde will mit Eigentümer über Zugang reden

Die Diskussion um die Glocke aus der Nazi-Zeit mit Hitler-Widmung im Turm der Jakobskirche hat das Bild Herxheims am Berg in den vergangenen Jahren geprägt. Doch im Keller eines Privathauses liegt eine Rarität verborgen: ein jüdisches Ritualtauchbad. Offen ist, ob und wie es stärker zugänglich gemacht werden kann. Eine lange vergessene Mikwe, ein jüdisches Ritualtauchbad, möchte die Gemeinde Herxheim am Berg als Zeugnis für das jahrhundertelange Zusammenleben von Juden und Christen in Zukunft stärker in den Vordergrund stellen. In einem Brief vom 5. April nimmt der parteilose Bürgermeister Georg Welker erstmals direkten Kontakt zum Landesverband der jüdischen Gemeinden Rheinland-Pfalz auf: „Heute möchten wir Sie darüber informieren, dass wir im Rahmen unserer Arbeit an und mit der Vergangenheit uns mit dem letzten – aber besonderen – Objekt des jüdischen Lebens in unserem Ort, nämlich der wahrscheinlich einzigen noch existierenden privaten Mikwe in der Pfalz, näher befassen wollen. Sollten Sie Empfehlungen für den Umgang mit diesem religiös-kulturellen Denkmal haben, sind wir für eine Rückmeldung dankbar.“ Wie Welker gestern sagte, seien in den kommenden Wochen Gespräche mit dem Verband geplant, auch ein Besichtigungstermin stehe im Raum. Wie genau die Mikwe ins öffentliche Bewusstsein gerückt und ob sie überhaupt zugänglich gemacht werden kann, könne er nicht sagen. Dazu seien beispielsweise Gespräche mit den Eigentümern des Hauses nötig. „Aber ich weiß, dass das Ritualtauchbad wichtig ist für die jüdische Tradition im Ort und in der Pfalz“, erläuterte Welker.

Inschriften verschwunden

Christoph Schibrowski ist Mieter des Privathauses aus dem 18. Jahrhundert, in dessen Keller sich die Mikwe befindet. „Ich hege und pflege sie“, berichtet der 70-jährige Maschinenbautechniker. In seinem Keller voller Gläser mit selbst gemachtem Ketchup, eingelegten Tomaten, Gurken und Zuccini führen gleich neben der Waschmaschine zehn Stufen in ein Becken mit klarem, acht Grad kalten Grundwasser, hinunter. Die Mikwe war mit der Auswanderung der letzten Herxheimer Juden im 19. Jahrhundert lange in Vergessenheit geraten. Wahrscheinlich hebräische Inschriften sind bei Umbauten in den 1980er-Jahren verloren gegangen. Wie zahlreiche andere Deutsche, darunter die Familien Trump und Heintz aus dem Nachbarort Kallstadt, suchten die Juden aus der verarmten Pfalz, meist Vieh- und Weinhändler, in Amerika und anderswo ein besseres Leben. Erst 1999 hat der Herxheimer Hobby-Historiker Eric Hass die als Brunnen genutzte Mikwe wieder ihrer ursprünglichen Funktion zuordnen können. Sie ist die einzige Dorfmikwe in der Pfalz, die noch Wasser führt und deshalb koscher ist, so Hass.

Typisches Bauwerk

Der israelische Archäologie-Professor Ronny Reich von der Universität Haifa und Katrin Keßler von der Bet Tfila-Forschungsstelle für jüdische Architektur in Europa in Braunschweig haben sie 2012 untersucht. Von fast 3000 Mikwen, die Keßler vom Mittelalter bis in die Gegenwart erfassen konnte, sind heute nur noch etwa 200 erhalten. Zahlreiche sind in schlechtem Zustand und nur wenige sind öffentlich zugänglich, so die Architekturhistorikerin. „Die großen, bekannten Ritualbäder des Mittelalters wie zum Beispiel in Andernach, Offenburg, Speyer, Worms, Köln oder Friedberg prägen zwar das allgemeine Bild, typischer für diese Baugattung sind aber jene neuzeitlichen, bescheideneren Bäder, die in großer Zahl in ganz Deutschland – vor allem in Süddeutschland – existiert haben“, erklärt sie. „Die Herxheimer Mikwe ist ein seltenes und bemerkenswertes Zeugnis jüdischer Geschichte in der Pfalz“, urteilt Georg Peter Karn, Fachbereichsleiter Weiterbildung und Vermittlung der rheinland-pfälzischen Landesdenkmalpflege. Vergangenes Jahr hätten Juden hier Wasser geschöpft, erzählt Schibrowski. Leider hat er sich nicht ihre Namen geben lassen und auch nicht gefragt, wofür sie das Wasser brauchen. „Für solches Wasser nimmt man kein Geld. Ich empfinde diesen Keller als liturgischen Ort“, gibt er seinen Gefühlen Ausdruck. „Ich finde die Idee sehr gut, das jahrhundertelange Zusammenleben von Juden und Christen in den Vordergrund zu stellen. Man sollte jedoch nicht unangemessen harmonisieren“, sagte Michael Gärtner, scheidender Oberkirchenrat der Evangelischen Kirche der Pfalz Ende März. Seine Nachfolgerin Dorothee Wüst teilt Anfang April diese Ansicht. Grundsätzlich begrüßt Avadislav Avadiev, der Vorsitzende des Landesverbandes der jüdischen Gemeinden in Rheinland-Pfalz, das Vorhaben. Er wendet aber ein: „Unserer Ansicht nach stellt das einen Versuch dar, mit einem ,Versöhnungsprojekt’ vom Problem mit der Hitlerglocke abzulenken beziehungsweise dieses zu entschärfen und zu lösen.“ Welker sieht dagegen keinen Zusammenhang zur Glocken-Diskussion: „Die einzige Parallele ist, dass beide Themen lange liegen gelassen wurden und wir sie jetzt aufarbeiten wollen.“

Für den jüdischen Alltag weniger typisch, aber dafür bekannter: die Speyerer Mikwe.
Für den jüdischen Alltag weniger typisch, aber dafür bekannter: die Speyerer Mikwe.
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