Pro und Contra Ampel-Streit und kein Ende: Brauchen wir Neuwahlen?

Im Februar veröffentlichten Wirtschaftsminister Habeck (Grüne, links) und Finanzminister Lindner (FDP) ein Foto auf ihren Instag
Im Februar veröffentlichten Wirtschaftsminister Habeck (Grüne, links) und Finanzminister Lindner (FDP) ein Foto auf ihren Instagramm-Accounts. Damit wollten sie nach einer Reihe von Streits das politische »Kriegsbeil« begraben. Es blieb bei der guten Absicht.

Die Bundesregierung hat massiv an Vertrauen verloren. Laut einer Umfrage wünscht sich die Mehrheit der Deutschen Neuwahlen. Aber wäre das wirklich der richtige Schritt?

PRO

Von Adrian Hartschuh
Niemand traut dieser Bundesregierung noch zu, das Blatt zu wenden. Nicht einmal sie selbst. Anstatt sich zusammenzuraufen und drängende Probleme zu lösen, blockieren und attackieren sich die Ampel-Parteien gegenseitig. Der Haushaltsstreit findet kein Ende, das sogenannte Heizungsgesetz und der Streit um das Verbrenner-Aus hat die Bürger massiv verunsichert. Der Kanzler erscheint ebenso wie einige seiner Minister überfordert, erklärt seinen Kurs nicht – sofern er überhaupt einen hat – und verweigert die Führung. Die AfD gewinnt bei Wahlen stetig Stimmen hinzu, mit der deutschen Wirtschaft geht es bergab. Und um uns herum ist die Welt aus den Fugen geraten: Der Nahe Osten brennt, Moskau hat einen Krieg in Europa begonnen und plant dramatische Grenzverschiebungen auf dem Kontinent.

Die Deutschen sind genervt von ihrer Regierung und haben die Geduld verloren: Laut einer aktuellen Insa-Umfrage fordern 53 Prozent Neuwahlen. Nur 37 Prozent wollen, dass die Ampel bis zur nächsten Bundestagswahl im Herbst 2025 weitermacht.

Der Weg zu vorgezogenen Neuwahlen mag kompliziert sein, aber er ist gangbar: Dreimal haben Bundeskanzler die Vertrauensfrage gestellt und die Abstimmung bewusst verloren, um einen Neustart zu ermöglichen – 1972 Willy Brandt, 1982 Helmut Kohl und 2005 Gerhard Schröder.

Olaf Scholz sollte das jetzt auch tun. Denn die Ampelpartner haben keine Kraft und keinen Willen mehr zur Zusammenarbeit. Es hat den Anschein: SPD, Grüne und FDP sehnen sich danach, nicht mehr miteinander auskommen zu müssen. Oder glaubt irgendwer im Ernst, dass die drei Streithähne 2025 ihre Koalition verlängern wollen? In dieser Lage sollten sie einen Schlussstrich ziehen.

Es ist wie bei einer zerrütteten Ehe: Partner, die sich nicht mehr ausstehen können, trennen sich besser. Deutschland hat eine handlungsfähige Regierung verdient. Und keine weitere 13 Monate andauernde Lähmung, angesichts der Probleme, mit denen das Land konfrontiert ist.

CONTRA

Con Erhard Stern
Beginnen wir mit einer kurzen Einführung ins Staatsrecht: Der Bundestag, so steht es in Artikel 39 des Grundgesetzes, wird auf vier Jahre gewählt. Und weiter: „Die Neuwahl findet frühestens 46, spätestens 48 Monate nach Beginn der Wahlperiode statt.“ Aktuell wird der 28. September 2025 als nächster Termin anvisiert.

Der einzig gangbare Weg zu außerplanmäßigen Neuwahlen ist dagegen rechtlich umstritten. Bislang wurde er dreimal beschritten. Es handelte sich jeweils um politischen Etikettenschwindel. Die Kanzler Willy Brandt (SPD, 1972) Helmut Kohl (CDU, 1982) und Gerhard Schröder (SPD, 2005) stützten sich auf Mehrheiten. Dennoch stellten sie die Vertrauensfrage mit der Absicht, diese zu verlieren.

Ja, aber die Ampel-Koalition ist sich doch bei keinem Thema einig und in den wichtigsten Politikfeldern tief zerstritten, könnte man einwenden. Klingt plausibel, ist aber falsch: Im Gegensatz zur öffentlichen Wahrnehmung halten SPD, Grüne und FDP ihre Versprechen ein. Die Ampel streitet, regiert aber stabil. Gerade wurde ihr attestiert, dass sie bereits zwei Drittel der Vorhaben des Koalitionsvertrags umgesetzt oder angestoßen habe. Nebenbei hat sie noch eine Pandemie abgewickelt, ist die wichtigste europäische Stütze der überfallenen Ukraine und hat eine Energiekrise meisterhaft gemanagt.

Aus dem Streit um den Haushalt, der einer Mehrheit der Deutschen vermutlich egal ist (Wie wäre es mit einer Umfrage dazu?), Neuwahlen abzuleiten, ist abenteuerlich. Zumal man es auch positiv formulieren kann: Stellvertretend für die Gesellschaft ringt die Koalition um den richtigen Weg für das Land. Abgerechnet wird am Ende der Legislaturperiode.

Natürlich tut eine Regierung gut daran, die Meinung ihrer Bürgerinnen und Bürger ernst zu nehmen; ihr Handeln darf sie aber nicht von Umfragen abhängig machen. Schon gar nicht sind diese Ersatz für seriöse Politik. Sonst könnten wir das mit den Wahlen auch gleich ganz lassen – und bilden aufgrund von Umfragen alle halbe Jahre eine neue Regierung.

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