Meinung Ampelkoalition: Ständiger Streit stört

In der Ampelkoalition sind zwischen Finanzminister Christian Lindner (links), Wirtschaftsminister Robert Habeck (Mitte) und Kanz
In der Ampelkoalition sind zwischen Finanzminister Christian Lindner (links), Wirtschaftsminister Robert Habeck (Mitte) und Kanzler Olaf Scholz (rechts) oft gravierende Gegensätze zu überbrücken.

Koalitionen müssen heute oft stärker als früher Gegensätze überbrücken. Das funktioniert nur mit einem Minimum an Gemeinsamkeit. Kritisch wird es, wenn Streit gesucht wird, um sich durch Provokationen zu profilieren.

Quizfrage: Von wem stammen die folgenden Sätze? „Einen dauerhaften Wiedereinstieg in die Kernenergie halte ich weder für sinnvoll noch für realistisch. Die Kosten sind enorm hoch. Ich sehe gegenwärtig keinen privaten Investor, der dafür in Deutschland in Frage käme. Ich kenne auch keine Versicherung, die bereit wäre, das Risiko eines Super-GAUs abzubilden. Das heißt, man würde einen staatlichen Betrieb, staatliche Investitionen und staatliche Haftung brauchen. Für einen Marktwirtschaftler ist das ein Signal, Abstand zu nehmen. Wir haben mit den regenerativen Energien wirtschaftliche Alternativen, die langfristig auch ökonomisch sinnvoller sein werden. Überlegen Sie mal, was passiert, wenn das Uran auf der Welt knapp und teuer wird. Die Sonne wird nicht knapp.“

Gesagt hat diese treffenden Sätze kein Politiker von SPD oder Grünen, sondern Bundesfinanzminister und FDP-Chef Christian Lindner in einem Interview mit der „Neuen Zürcher Zeitung“, erschienen am 28. Oktober 2022. Interessant daran ist nicht nur, dass diese Aussagen Lindners alle richtig und plausibel sind, sondern speziell, dass sie vom Chef einer Partei kommen, die ansonsten die Ampel-Koalitionspartner gerne mit Forderungen nach einem Comeback der Kernenergie ärgert und damit den Eindruck nährt, dass die Ampelkoalition im Bund ein zerstrittener Haufen ist.

Vom Dauerstreit profitieren Populisten

Wahlergebnisse werden aller Voraussicht nach künftig häufiger als bisher die Bildung von Koalitionen erfordern, in denen zwischen den Partnern erhebliche Differenzen zu überbrücken sind. Wenn hier nicht ein Mindestmaß an Gemeinsamkeit gewahrt wird (wie das etwa bei der Ampelkoalition in Rheinland-Pfalz durchaus der Fall ist) und stattdessen jeder Partner versucht, durch verantwortungslose Ego-Trips Aufsehen zu erregen, nützt das letztlich nur den Populisten links und rechts von Wagenknecht bis Weidel.

In der EU viel Porzellan zerschlagen

Noch viel gravierender als die bisher letztlich weitgehend folgenlosen Sticheleien in Sachen Kernenergie ist, dass die FDP nicht davor zurückschreckt, jede Menge europapolitisches Porzellan zu zerschlagen und die Handlungsfähigkeit der EU zu gefährden, indem eigentlich fertig ausverhandelte Kompromisse in letzter Sekunde plötzlich in Frage gestellt werden – im vergangenen Jahr beim Thema E-Fuels, jüngst beim Thema Lieferkettengesetz.

Im Kontext der anstehenden Europawahl ist der FDP eigentlich eine bedeutende Verbesserung gelungen, nämlich bei der Person ihrer Spitzenkandidatin. Nicola Beer, die 2019 die FDP-Liste anführte, war unter anderem mit Äußerungen zum Klimawandel aufgefallen, die sehr nach Donald Trump klangen. Dagegen hat die aktuelle Spitzenkandidatin Marie-Agnes Strack-Zimmermann sich als Verteidigungsausschussvorsitzende im Bundestag mit ihrem couragierten Engagement für die von Russland angegriffene Ukraine weit über ihre Partei hinaus großes Ansehen erworben. Auch die beste Spitzenkandidatin wird allerdings wenig ausrichten können, wenn die FDP sich wiederholt als Partei der europapolitischen Obstruktion inszeniert. Mit ihren profilneurotischen Extratouren sorgt die FDP dafür, dass Deutschland in der EU zunehmend als unsicherer Kantonist gilt, auf dessen Zusagen kein Verlass ist.

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