Politik Anführer der Europafreunde

Für seinen Auftritt im Europaparlament bekommt Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron viel Beifall. Doch der Reformer zeigt erstmals auch Nerven.

Das Europaparlament ist nicht bekannt dafür, Schauplatz mitreißender Debatten zu sein. Meist lesen die Redner ihren Beitrag vom Blatt ab. Auch die Vielfalt der Sprachen macht es nicht leichter. Die Politiker wissen, dass ihre Sätze simultan übersetzt werden müssen und dass dabei jeder Wortwitz verloren geht. Daher sind die Zuschauerränge in der Straßburger Volksvertretung meist spärlich besetzt. An diesem Dienstag ist das anders. Schon eine halbe Stunde vor dem angekündigten Rede-Auftritt des französischen Präsidenten ist auf der Pressetribüne kein Platz mehr frei. Auch die Reihen der Parlamentarier sind geschlossen. Alle wollen Emmanuel Macron erleben, seinen Pathos, das Charisma. Macron lässt die Zuhörer warten. 25 Minuten verspätet legt er los. Seine ehrgeizigen Vorschläge für einen Neustart der EU hat er, der mit seinem proeuropäischen Wahlkampf Marine Le Pen besiegte, bereits zwei Tage nach der deutschen Bundestagswahl bei seiner Rede an der Sorbonne vorgelegt. Da war er schon einige Zeit im Amt. Acht Monate ist das nun her. Bei seinem Auftritt vor dem Europaparlament verzichtet Macron darauf, ein weiteres Feuerwerk der Ideen zu zünden. Seine Vorschläge zur Vertiefung liegen auf dem Tisch und haben, gerade in Berlin, keine große Begeisterung entfacht. Da er zudem morgen nach Berlin fährt, um mit Angela Merkel die Vorschläge zur Reform der Eurozone zu diskutieren, hält er es für sinnvoller, sich öffentlich nicht noch einmal an Details abzuarbeiten. Ihm geht es vielmehr darum, Tempo zu machen und die Notwendigkeit von Reformen in der Gemeinschaft zu unterstreichen. Zwei Botschaften hat Macron für die Europafreunde im Gepäck: Die erste ist ein flammendes Bekenntnis zur Demokratie. Mit Blick auf die 2019 anstehenden Europawahlen erteilt er populistischen Politikansätzen eine eindeutige Absage. Ohne Ungarn und den rechtspopulistischen Regierungschef Viktor Orbán namentlich zu nennen, greift er ihn doch unmissverständlich an. Das Illiberale, so Macron, wachse jeden Tag. „Die Antwort auf unsere Probleme ist nicht eine autoritäre Demokratie, sondern die Autorität durch Demokratie.“ Der französische Präsident fordert die Renaissance eines Europas, das vom Geist seiner Völker getragen wird. „Die Rückkehr des nationalen Egoismus muss überwunden werden.“ Seine zweite Botschaft richtet Macron an die Nationalstaaten. Damit es mit Europa weitergeht, müssten die Hauptstädte Macht an das supranationale Projekt EU abgeben. „Ich möchte einer Generation angehören, die die europäische Souveränität verteidigt. Sie ist Bedingung dafür, dass kommende Generationen selbst über ihre Zukunft entscheiden können.“ An dieser Stelle seiner 25-minütigen Rede wird er konkret: Brüssel verdiene mehr Kompetenzen, um die Zuwanderungsfragen zu lösen, robust die Außengrenzen zu verteidigen, Digitalunternehmen zu besteuern und eigene Einnahmen zu generieren. Die Begeisterung ist offensichtlich ansteckend. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker feiert Macrons Rede mit den Worten: „Das wahre Frankreich ist zurück.“ Der Fraktionschef der Sozialisten im Europaparlament, Udo Bullmann (SPD), sagt: „Wir würden gern mehr Staatschefs sehen, die ihr Schicksal so mutig an Europa knüpfen wie Sie.“ Und Manfred Weber (CSU), Chef der christdemokratischen Fraktion, gratuliert mit den Worten: „Wir haben lange warten müssen, um einen so überzeugenden proeuropäischen französischen Präsidenten zu erleben.“ Doch in der anschließenden Debatte gibt es auch Kritik. Gar nicht gut kommt an, dass der Franzose dem Haus das Recht streitig machen will, den nächsten Kommissionspräsidenten zu bestimmen. Macron wird absehbar keine starke Fraktion stellen. Den Nachfolger von Juncker will er daher so wie früher wieder zwischen den Staats- und Regierungschefs auskungeln. Das Parlament indes pocht darauf, dass nur Chef der nächsten Kommission werden kann, wer zuvor als Spitzenkandidat einer europäischen Parteienfamilie in den Europawahlkampf gezogen ist. Auch Bullmann warnt Macron davor, sich bei seinen Reformbestrebungen zu sehr auf Gesprächspartner in Berlin zu konzentrieren. Unter Anspielung auf den Widerstand, den Merkel gegen den Aufbau eines Europäischen Währungsfonds leisten könnte, meint Bullmann: „Madame No in Berlin hat schon gezeigt, wie schwer es wird.“ Macron hört sich geduldig die Kritik an, dann bekommt er für seine Replik zehn Minuten Zeit. Er antwortet detailliert, zuweilen sogar scharf. Das lässt erahnen, wie es ihm zusetzt, dass er laut Meinungsumfragen in Frankreich an Rückhalt verliert. Noch nicht einmal ein Jahr im Amt, scheint er schon gereizt von dem Widerstand, der ihm und seinen Reformideen inzwischen entgegengesetzt wird.

x