Politik Atomwaffen: Die Angst ist zurück

Wartungsarbeiten an einer todbringenden Rakete: Techniker der US-Luftwaffe führen im Jahr 1980 Tests an einer Interkontinentalra
Wartungsarbeiten an einer todbringenden Rakete: Techniker der US-Luftwaffe führen im Jahr 1980 Tests an einer Interkontinentalrakete des Typs Minuteman III durch.

Drei Jahrzehnte nach den Abrüstungsdebatten der 80er Jahre und den Nuklearabkommen, die das Arsenal der USA und der Sowjetunion massiv herunterfuhren, ist eine neue Nukleardebatte entbrannt. Auf der Münchner Sicherheitskonferenz versucht die US-Regierung ihre neue Atomstrategie zu rechtfertigen, dringt aber zumindest bei den deutschen Partnern nicht durch.

Dies ist keine Übung“, lautete die Warnung, die 1,5 Millionen Menschen in schiere Panik versetzte. Eine ballistische Rakete rase auf Hawaii zu, alarmierten die Behörden am 13. Januar die Bevölkerung des US-Bundesstaats per Handy-Textnachricht. Eine halbe Stunde lang – bis sich die Warnung als Fehlalarm erwies – wähnten sich die Menschen als Opfer eines laufenden Atomangriffs. Jenes Horrors, der im Kalten Krieg wie ein Damoklesschwert alltäglich über der Menschheit schwebte, aber Gott sei Dank am Ende nie Realität wurde. Die Angst vor der Bombe. Sie ist wieder da. Dazu hat nicht nur Nordkoreas Streben nach der ultimativen Waffe geführt. Es ist auch die Art, wie die Vereinigten Staaten von Amerika und ihr Präsident Donald Trump mit dieser Bedrohung umgehen. „Feuer und Zorn“ hat er dem Kim-Regime angedroht. Und steigende Besorgnis greift um sich, seit Anfang Februar die neue Nuklearstrategie der USA verkündet wurde. Zu ihr gehört, auf einen von den US-Geheimdiensten festgestellten Verstoß Russlands gegen den INF-Vertrag von 1987 zu reagieren: Moskau habe SSC-8-Marschflugkörper entwickelt – insgesamt 24 Abschussrampen seien operativ, und einige sollen in der russischen Enklave Kaliningrad zwischen den baltischen Staaten und Polen stehen. Auch Deutschland sei somit bedroht. Dass es solche Raketen überhaupt gibt, hat Russland über Jahre dementiert. Erst im Dezember kam ein Eingeständnis.

Eine neue Gefahrenlage

„Wir müssen der Realität ins Auge schauen und die Welt so sehen, wie sie ist, nicht wie wir sie uns wünschen“, meint US-Verteidigungsminister James Mattis im Vorwort des 75-seitigen Papiers zur neuen US-Nuklearpolitik. Dabei hatte Mattis, ein ehemaliger Vier-Sterne-General der US-Marines, über Jahre immer wieder erklärt, er halte es für unnötig, das kostspielige Atomwaffenarsenal zu behalten oder gar zu modernisieren. 1,2 Billionen Dollar teuer sind die jüngsten, auf 30 Jahre angelegten Pläne, hat das Budgetbüro des US-Kongresses errechnet. Vor allem die Hunderte Silos für landbasierte Atomwaffen halte er für verzichtbar, hatte Mattis noch 2015 gesagt. Nun aber die 180-Grad-Wende: Mattis hat sich von Experten wie dem Yale-Professor Paul Backen überzeugen lassen, die sagen, es sei überfällig, die US-Streitkräfte für die „zweite nukleare Ära“ fit zu machen. Statt wie im Kalten Krieg, als maßgeblich zwei Supermächte wettrüsteten, gebe es nun eine viel komplexere Lage, die auch Gefahrenherde einschließe, in denen die Schwelle für einen Atomwaffeneinsatz viel niedriger sei als je zuvor. Israel, Pakistan, Indien, Nordkorea und bald vielleicht Iran – eine neue Gefahrenlage, für die die alten Verträge nicht taugten.

Bemerkenswertes Eingeständnis

Bundesaußenminister Sigmar Gabriel hat auf der Münchner Sicherheitskonferenz deutlich gemacht, wie Deutschland über Atomwaffen denkt. „Wir schauen irritiert über den Atlantik, wir erkennen unseren alten Partner nicht wieder.“ Und: „Wir Deutschen wollen nicht zurück in die Zeit nuklearer Aufrüstungslogik.“ Denn Deutschland könnte der Schauplatz eines neuen Wettlaufs der vermeintlichen Abschreckung sein. „Niedrig-Ertrags-Atombomben“ sollen die Antwort auf die SSC-8-Raketen der Russen und die – noch kleinen – Arsenale von Staaten wie Nordkorea sein. Im Vertrag für die geplante neue große Koalition zwischen CDU/CSU und SPD steht dazu unmissverständlich: „Wir wollen ein neues konventionelles und nukleares Wettrüsten auf unserem Kontinent vermeiden.“ Dass es nach wie vor in Deutschland Atomwaffen gibt, nämlich auf dem rheinland-pfälzischen Fliegerhorst Büchel, das gibt das Koalitionspapier unumwunden zu: „Erfolgreiche Abrüstungsgespräche schaffen die Voraussetzung für einen Abzug der in Deutschland und Europa stationierten taktischen Nuklearwaffen.“ Dieses Eingeständnis ist bemerkenswert, denn über Büchel äußern sich sonst weder die Bundesregierung noch die US-Streitkräfte offiziell.

„Es ist eine Fantasie“

Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen hat in München das Thema Atomwaffen nicht einmal in den Mund genommen. Ihr US-Kollege Mattis ergriff gar nicht das Wort. Sicherheitsberater Herbert Raymond McMaster und Vizeaußenminister John Sullivan wurden vorgeschickt. Bei ihnen klang manches ganz anders, als wenn ihr Chef Donald Trump redet – so gar nicht aggressiv. Aber wegen dieser Diskrepanz bleiben Fragen. Wie ernst ist es gemeint, wenn Sullivan beteuert, es gehe vor allem um eine überfällige Entrümpelung und Modernisierung. Krieg wolle niemand: „Gott behüte! Grundsätzlich geht es darum, die US-Verpflichtung zu Nichtverbreitung und Rüstungskontrolle zu bekräftigen.“ Eine Frau tritt in München auf die Bühne und liest den Politikern die Leviten. Beatrice Fihn ist die Direktorin der Internationalen Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen. Die 35-Jährige erhielt im Dezember den Friedensnobelpreis. „Mich stört, dass sich das Gespräch hier um dunkle, sterile Konzepte dreht“, sagt sie. „Es wird nie darüber geredet, dass es wirklich darum geht, dass Staaten bereit sind, mit einem Schlag Hunderttausende Menschen zu töten. Es ist eine Fantasie, dass wir für immer Atomwaffen haben können, ohne dass etwas passiert.“

„Keiner sagt stolz, wir haben Chemiewaffen“

Nicht nur die USA oder Russland, die mit Abstand die meisten Atomwaffen haben, rauben Fihn den Schlaf. Es sind gerade Nato-Länder wie Deutschland, die sich ihrer Kampagne nicht anschließen. Berlin könnte zu Washington sagen: Die Waffen in Büchel müssen weg. „Staaten, die Atomwaffen auf ihrem Territorium gestatten, können nicht von sich behaupten, friedliebend zu sein“, sagt Fihn und fügt hinzu: „Keiner sagt stolz, wir haben Chemiewaffen. Sie sind geächtet. Dasselbe muss für Atomwaffen gelten.“ Das Gros der Atomwaffen, die es zum Höhepunkt des Kalten Krieges in Europa gab, sind zerstört. Von 12.000 Gefechtsköpfen Anfang der 90er sind noch 1550 übrig. Aber das würde natürlich reichen, um einen nuklearen Winter zu verursachen, der die Menschheit auslöscht. Am Ende der Konferenz bleibt tiefe Sorge. Denn die russische und die amerikanische Regierung beharren auf ihre jeweilige Sicht und reden aneinander vorbei. McMaster: „Wir werden nicht gestatten, dass Russland Europa oder irgendwen sonst zur Geisel nimmt.“ Sergej Kisljak, Vizechef des Außenausschusses des russischen Föderationsrats, erwidert an die Adresse der Amerikaner: „Sie schaffen eine Illusion, Sie könnten Atomwaffen so einsetzen, wie es Ihnen gefällt.“ Russland werde seine Politik jedenfalls nicht ändern.

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