Politik Beamtenstatus auf Karlsruher Prüfstand

Angestellte Lehrer können, wie hier in Thüringen, an Arbeitskampfmaßnahmen teilnehmen. Ihren beamteten Kollegen ist das nicht er
Angestellte Lehrer können, wie hier in Thüringen, an Arbeitskampfmaßnahmen teilnehmen. Ihren beamteten Kollegen ist das nicht erlaubt.

Dieses Verfahren hat das Zeug, eine der tragenden Säulen, auf denen die Verwaltung, die Gerichtsbarkeit, aber auch viele andere Bereiche des öffentlichen Dienstes in Deutschland ruhen, ins Wanken zu bringen. Denn das Streikverbot für Beamte, gegen das mehrere beamtete Lehrer vor dem Bundesverfassungsgericht klagen, gehört zu den zentralen Grundsätzen des Berufsbeamtentums. Und die haben Verfassungsrang, sind im Artikel 33 des Grundgesetzes festgeschrieben. Dahinter verbirgt sich eine vielfältige Mischung aus Rechten und Pflichten, zu denen das Streikverbot ebenso gehört wie die Unkündbarkeit oder eine auskömmliche Alimentation, sprich Entlohnung von Beamten. Das alles dürfte vor dem Verfassungsgericht zur Sprache kommen. Ausgelöst haben das Verfahren beamtete Lehrer, die im Jahr 2009 zusammen mit ihren angestellten Kollegen streikten. Mehrere Lehrkräfte aus Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein wurden anschließend von den zuständigen Schulbehörden mit Geldbußen belegt. Ihre Klagen dagegen blieben in jeweils zweiter Instanz erfolglos. Als im Frühjahr 2013 auch in Rheinland-Pfalz beamtete Lehrer auf die Straße gingen, wurden sie anschließend vergleichsweise milde sanktioniert: durch Einträge in die Personalakte, die nach zwei Jahren wieder getilgt wurden. Vier Fälle aus Niedersachsen, NRW und Schleswig-Holstein liegen nun dem Bundesverfassungsgericht vor. Das hat in der Vergangenheit, ähnlich wie das Bundesverwaltungsgericht im Jahr 2014, das Streikverbot für zulässig und verfassungskonform erklärt. Anders hingegen der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte: Die Straßburger Richter billigten im Jahr 2009 türkischen Beamten das Recht zu, sich gewerkschaftlich zu organisieren und auch zu streiken. Sie stützten sich bei ihrer Entscheidung auf die Europäische Menschenrechtskonvention, die jedem Menschen die Koalitionsfreiheit zugesteht, also das Recht, sich zur Wahrung seiner Interessen mit anderen zusammenzuschließen – und als Arbeitnehmer gegebenenfalls zu streiken. Auf diese Entscheidung verweisen auch die Kritiker des Streikverbots in Deutschland. In Karlsruhe wird es deshalb auch darum gehen, wie „völkerrechtsfreundlich“ das Grundgesetz ist, ob das Streikverbot vor dem Hintergrund der Straßburger Entscheidung überdacht werden muss. Sollte das Verfassungsgericht das Streikverbot bestätigen, könnten auch die Klagen der deutschen Lehrer eines Tages in Straßburg landen. Klaus-Peter Hammer rechnet sogar damit. Hammer ist rheinland-pfälzischer Landesvorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). „Wir wollen die deutsche Ausnahme beim Streikverbot durchbrechen“, umreißt er das Ziel seiner Gewerkschaft, die wiederholt beamtete Lehrer zum Arbeitskampf aufgerufen hat und die Kläger nun in Karlsruhe unterstützt. Hammer verweist auf Nachbarländer wie Belgien, wo Beamte streiken dürfen. Dabei gehe es nicht darum, den Beamtenstatus abzuschaffen; vielmehr müsse dieser reformiert, modernisiert und von seinen obrigkeitsstaatlichen Bezügen befreit werden. Momentan seien Beamte „abhängig von der Willkür ihrer Dienstherren“, kritisiert Hammer. Die GEW, deren Mitglieder laut Hammer in der Mehrzahl Beamte sind, kämpft schon seit 1971 für ein Ende des Streikverbots – und sieht sich durch Entwicklungen in jüngerer Zeit bestätigt. Es gebe kaum eine Berufsgruppe, deren Arbeitsbedingungen sich im Laufe der Jahre so verschlechtert hätten wie die der Beamten, verweist Hammer auf diverse Kürzungen und Sparmaßnahmen, nicht zuletzt in Rheinland-Pfalz, wo Beamte jahrelang von den Tarifsteigerungen ihrer angestellten Kollegen abgekoppelt waren. Für die Bundesländer seien die Beamten in den vergangenen Jahren eine „günstige Melkkuh“ gewesen, sieht Hammer das Gleichgewicht zwischen Rechten und Pflichten der Beamten und damit eine Grundlage des Beamtenstatus nicht mehr gewahrt. In Karlsruhe wird es auch um die Frage gehen, ob der Beamtenstatus unteilbar ist, also für Finanzbeamte oder eben die 650.000 beamteten Lehrer ebenso vollumfänglich gilt wie etwa für Polizisten, die zweifelsfrei hoheitliche Aufgaben wahrnehmen. Dass Lehrer nicht unbedingt Beamte sein müssen, haben zahlreiche Bundesländer unter Beweis gestellt, indem sie Lehrkräfte teilweise oder, wie etwa Sachsen, generell als Angestellte beschäftigten – 200.000 Pädagogen bundesweit sind inzwischen Angestellte. Angesichts des bundesweiten Lehrermangels ist derzeit eine Gegenbewegung im Gange; auch Sachsen verbeamtet neuerdings Lehrer. Für die Verteidiger des Streikverbots für Beamte ist eine „Zwei-Klassen-Gesellschaft“ bei den Beamten schlichtweg unvorstellbar. Eine „Differenzierung nach hoheitlichen und nichthoheitlichen Aufgaben mit abweichenden Beteiligungs- und Verhandlungsrechten“ entbehre „jeder Legitimation“, heißt es seitens des Beamtenbunds (DBB). Im Übrigen warnt der DBB die Konkurrenz von den DGB-Gewerkschaften, dass ein juristischer Erfolg in Sachen Streikverbot sich rasch als Pyrrhussieg erweisen könne. Denn wenn alle, also auch Polizisten oder Feuerwehrleute, streiken dürften, könne der Gesetzgeber in Versuchung geraten, im Grundgesetz an anderer Stelle „nachzubessern“, indem er beispielsweise im einschlägigen Artikel 9 zur Koalitionsfreiheit ein teilweises Streikverbot einfüge. Folge eines Aus des Streikverbots für Beamte wäre auf jeden Fall, dass künftig alle Lehrer streiken dürften – für manche Eltern eine Horrorvorstellung. GEW-Landeschef Hammer versucht zu beruhigen: Es brauche niemand Angst zu haben, „dass wir im Chaos versinken“. Grundsätzlich seien sich die Gewerkschaften der Verantwortung, die das Streikrecht mit sich bringe, bewusst. Ein lange andauernder Streik an Schulen ist für Hammer „nicht vorstellbar“.

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