25 Jahre digital Belastbare Daten und Impulse: Das Drive-Projekt

Korbinian Jellinek (vorne) mit Volontär Max Schenk
Korbinian Jellinek (vorne) mit Volontär Max Schenk

Seit zwei Jahren ist DIE RHEINPFALZ ein aktiver Verlag im Vergleichsprojekt DRIVE. In diesem Zusammenschluss verschiedener Regionalverlage aus ganz Deutschland arbeiten alle Tageszeitungen am selben Ziel: Die Zukunft der lokalen Tageszeitungen in einer digitalen Welt sichern.

Ob an der Nordsee oder in Oberbayern, ob an der Lausitz oder in der Pfalz: Die Leserschaft der lokalen und regionalen Tageszeitungen wandert immer stärker ins Digitale ab. Websites wie rheinpfalz.de bieten neue Chancen für die Berichterstattung. Gibt es für das gedruckte Blatt einen Redaktionsschluss, können die Menschen im Internet stets die aktuellen Nachrichten lesen, wie z.B. beim Liveblog zur Bombenentschärfung in der Kaiserslauterer Innenstadt am 17. Februar. Die Zeitungen stehen im Internet aber auch unter Druck: Die Anzahl an Anbietern deutschsprachiger Nachrichten ist riesig. Ein großes Angebot senkt den Preis: Viele Menschen sind im Internet gewöhnt, Artikel kostenlos lesen zu können. Das DRIVE-Projekt, an dem DIE RHEINPFALZ teilnimmt, setzt genau hier an. DRIVE ist die Abkürzung mehrerer englischer Wörter. Digital Revenue Initiative: eine Initiative zu (mehr) digitalen Erlösen. DRIVE wird von der Hamburger Unternehmensberatung Schickler und Mitarbeitern der Deutschen Presseagentur (dpa) gesteuert. DIE RHEINPFALZ ist eine von etwa 20 regionalen Tageszeitungen, die aus allen Teilen der Bundesrepublik und Österreich stammen.

Mehr digitale Abo-Erlöse

Was ist das Besondere an der Initiative? Bei DRIVE spielen die Verlage mit offenen Karten. Denn alle Zeitungen haben auf ihren Internetseiten denselben Tracking Code installiert. Der Tracking Code ist ein Algorithmus, den Programmierer geschrieben haben, um auszulesen, was auf den Websites passiert. Dadurch, dass derselbe Code auf den unterschiedlichen Nachrichtenportalen läuft, können sich die Verlage vergleichen: Welche Erfolge erzielen die einen, wo hakt es bei den anderen? Auf einer Website, auf die die teilnehmenden Verlage zugreifen können, werden die Daten in Tabellen und Grafiken dargestellt.

Die bei DRIVE gesammelten Daten sind für DIE RHEINPFALZ insofern außergewöhnlich, da sie den Bedürfnissen eines modernen Zeitungsverlags gerecht werden. Datenerfassung auf einer Website ist nicht neu, Anbieter wie Google Analytics oder Matomo gibt es seit vielen Jahren. Die meisten dieser Systeme sind jedoch für den Verkauf von Waren im Internet optimiert. Ein Zeitungsabonnement ist allerdings kein normales Produkt, das man immer mal wieder neu kauft, so wie ein neues Paar Schuhe. DRIVE gibt z.B. den Kollegen, die sich bei der RHEINPFALZ um den digitalen Vertrieb kümmern, wertvolle Informationen an die Hand: Wie unterscheiden sich Nutzer, die ihr digitales Abo fortführen, von solchen, die ihr digitales Abo gekündigt haben?

Mediennutzungszeiten

Viele RHEINPFALZ-Leserinnen und Leser werden sich an das Projekt „Lesewert“ erinnern, das vor einigen Jahren in zwei Runden durchgeführt wurde. Der Teil der Leserschaft, der bei „Lesewert“ mitgemacht hat, ging mit einem Stiftscanner über die Texte der gedruckten Zeitung. Somit konnten Spezialisten im Nachhinein auswerten, welche Texte überhaupt gelesen wurden und wie ausführlich. Diese Daten waren für die Themensetzung Redaktion äußerst hilfreich: Faktenbasiert konnte neu justiert werden, welche Veranstaltungen DIE RHEINPFALZ mit eigenen Redakteuren oder freien Mitarbeitern besetzen würde. DRIVE hievt diese Lese-Auswertung ins Digitale. Auswertungen über die Anzahl der Seitenaufrufe einzelner Artikel sind nicht neu; das leisten auch andere Programme, die vor DRIVE im Einsatz waren. Neu ist die Erhebung der Mediennutzungszeit pro Artikel. Die Mediennutzungszeit gibt in zweierlei Hinsicht Aufschluss über die Frage, wie ein Artikel gelesen wurde.

Einerseits ist die Summe aller individuellen Mediennutzungszeiten (20 Sekunden bei Person A + 80 Sekunden bei Person B ergibt 100 Sekunden) ein Indikator für die Reichweite. Ist die Summe der Mediennutzungszeiten hoch, wissen wir, dass der Artikel eine hohe Reichweite erzielt, also von vielen Menschen gelesen wurde. Das ist ein Indiz für das Interesse der Leserschaft an einem Thema. Andererseits lassen sich durch die individuelle Erhebung der Mediennutzungszeiten auch Durchschnittswerte bilden. Daraus ergibt sich die durchschnittliche Mediennutzungszeit pro Seitenaufruf, die für die redaktionelle Arbeit ebenfalls von Interesse ist. Anders ausgedrückt: wie lange haben die Leute einen Artikel wirklich gelesen?

Warum ist die Mediennutzungszeit (sowohl in Summe als auch im Durchschnitt) von solcher Bedeutung? Zwei Dinge sind, wissenschaftlich gestützt, Konsens im DRIVE-Projekt: Eine hohe Mediennutzungszeit erhöht die Wahrscheinlichkeit eines Pfälzers, ein Abo bei der RHEINPFALZ abzuschließen. Wenn eine Person die Zeitung nicht liest, wird sie auch kein Geld dafür zahlen. Gleichzeitig verringert eine hohe Mediennutzungszeit die Wahrscheinlichkeit einer Abo-Kündigung. Somit haben die Zeitungsverlage ein großes Interesse daran, die Mediennutzungszeiten zu erhöhen, digital wie in der gedruckten Ausgabe. Daran arbeitet bei der RHEINPFALZ die gesamte Redaktion: die Zahlen zu Mediennutzungszeiten stehen allen Redaktionsmitgliedern zur Verfügung. So erfahren Redakteure, welche Themen wie stark nachgefragt werden. Eine hohe durchschnittliche Mediennutzungszeit deutet auf eine hohe Durchlesequote hin. Das heißt, der Artikel wurde so geschrieben, dass die Leute ihn ausführlich gelesen haben.

Die Auswertung der DRIVE-Daten erfolgt in der Redaktion recht detailliert. Denn auch die Textlänge bestimmt den Wert der durchschnittlichen Mediennutzungszeit. Für eine Polizeimeldung wird niemand mehrere Minuten brauchen. Genauso unwahrscheinlich ist es, dass jemand in 20 Sekunden die spannende Titelgeschichte der Lokalausgabe gelesen haben wird. Die Daten werden daher auch ins Verhältnis zu ihrer Textlänge gesetzt. So kann die Redaktion erkennen, welche Artikel besonders gelungen sind.

Die Bedürfnisse der Leser

Ein Aspekt, der ebenfalls datengetrieben im DRIVE-Projekt erarbeitet wird, ist das Schreiben von Texten nach Bedürfniskategorien. Die Herausforderung besteht darin, dass Tageszeitungen, auch DIE RHEINPFALZ, sehr viele nachrichtliche Artikel produziert. Deren zugrundliegende Bedürfniskategorie ist „Update me“, also „Halte mich auf dem Laufenden“. Eine Tageszeitung soll über aktuelle Geschehnisse informieren, doch hinsichtlich der Mediennutzungszeit schneiden „Update me“-Artikel nicht immer am besten ab. Hohe Mediennutzungszeiten generieren Artikel wahrscheinlicher dann, wenn sie die Bedürfnisse der Leserschaft stillen.

Leserbedürfnisse sind zum Beispiel „Ich will eine neue Welt entdecken“ oder „Ich will mitfühlen und Gänsehaut spüren“, aber auch „Ich will Fehler vermeiden“. Mit dem Schreiben nach Leserbedürfnissen werden die Artikel aufgewertet: Die Leserschaft, digital wie in der gedruckten Ausgabe, liest den Artikel intensiver. Auch dieser Aspekt zahlt auf die Mediennutzungszeiten ein, denn intensiv lesende Menschen sind zufriedene Leser und bleiben Abonnenten. Die Idee der Bedürfniskategorien wurde nicht von DRIVE erfunden, doch es erfährt hier eine praktische Anwendung für Regionalzeitung. Im Zusammenspiel von Daten- und Textanalyse entwickeln die Verlage in Workshops und Arbeitsgruppen die redaktionellen Inhalte weiter. Die Auseinandersetzung mit Daten unterstützt somit mittelbar die gute Geschichte und das journalistische Handwerk.

Intensive Zusammenarbeit

Die Zusammenarbeit erfolgt in mehreren Stufen. Auf unterster Ebene gibt es Arbeitsgruppen, die sich regelmäßig zu einem ganz bestimmten Thema treffen. Hier kommen – virtuell – eine Handvoll bis zwei Dutzend Menschen aus den verschiedenen Verlagen zusammen. Je nach Thema treffen unterschiedliche Erfahrungsschätze zusammen. Bei der einen Zeitung hat man etwas (Inhalte, Formate, digitale Maßnahmen) schon vor Jahren etabliert, bei einer anderen hat man sie wieder beendet, ein dritter Verlag möchte gerne damit starten. Oder die Arbeitsgruppe erarbeitet zunächst die Problemlage und setzt thematische Schwerpunkte. Denn ohne Struktur wäre die Zusammenarbeit nicht produktiv.

In nächst höherer Ebene gibt es pro Fachbereich wöchentliche oder mehrwöchentliche feste Termine. So treffen sich die Redaktionsmitglieder zum „Newsroom Call“ (dt.: Redaktionstelefonat), die jeweiligen Mitarbeiter aus dem Lesermarkt und Vertrieb zum „Sales Call“ (dt.: Verkaufsgespräch) und die Datenspezialisten zum Data Meeting (dt.: „Datenbesprechung“). Die Inhalte dieser regelmäßig terminierten Besprechungen werden gemeinsam mit den Mitarbeitern von dpa und Schickler vorbereitet. Auch der Autor dieser Zeilen hat schon eine Präsentation gehalten, die deutschlandweit mehrere Dutzend Menschen vor ihren Bildschirmen gesehen haben. In diesen Runden kommen aus den teilnehmenden Verlagen Impulse zu bestimmten Themen. Was immer wieder sichtbar wird: Egal, aus welchem Teil Deutschlands eine Zeitung stammt, die Herausforderungen sind oft dieselben. Gleichzeitig gibt es durch die Größe des DRIVE-Projekts fast immer einen Verlag, der einen Beitrag zur aufgeworfenen Fragestellung leisten kann.

Auf nächst höherer Ebene gibt es den zweiwöchentlichen Austausch, der einerseits für alle zusammenfasst, was in den Arbeitsgruppen und Fachbesprechungen passiert ist und andererseits organisatorische Aspekt abhandelt. In dieser Runde gibt es auch externe Referenten, wie Wissenschaftlerinnen oder Experten aus der Medienbranche. So hat hier auch Dmitry Shishkin, ein ehemaliger Journalist für die BBC, sein für die BBC entwickeltes Modell zur Strukturierung von Bedürfniskategorien vorgestellt. Die Vorträge sind stets interaktiv und meistens gibt es im Anschluss daran eine rege Diskussion in der großen DRIVE-Runde, in der oft über 100 Menschen gleichzeitig zugeschaltet sind. Ebenso häufig geben die Besprechungen, die Datenanalyse und die Arbeit in den Arbeitsgruppen Anstöße in eine Vielzahl von Richtungen. So können sich neue Themenschwerpunkte – auch für die gedruckte Zeitung – entwickeln oder neue Impulse in der Ausspielung von Artikeln auf Facebook, in der App oder im Newsletter ergeben.

Die Auswirkungen dieser Initiative, bei der wir seit Anfang 2021 mitmachen, auf DIE RHEINPFALZ sind enorm. Als Zeitung wissen wir dank umfangreicher Datenerhebungen, wo wir stehen. Der Blick auf andere Zeitungen erlaubt die Verortung der eigenen Leistung. Der Austausch in den verschiedenen Runden, ist Antrieb stets neue Wege zu gehen und sich selbst zu hinterfragen.

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