Pro & Contra Brauchen wir einheitliche Corona-Regeln?

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) fordert eine Verschärfung der Corona-Maßnahmen.
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) fordert eine Verschärfung der Corona-Maßnahmen.

Die Diskussion wird geführt, seit es die Pandemie gibt. Die einen beklagen ein Wirrwarr an regional unterschiedlichen Geboten: „Wer blickt da noch durch?“ Die anderen sehen in der Flexibilität die Chance, passgenau auf die Lage vor Ort zu reagieren. Auch RHEINPFALZ-Redakteure streiten sich.

PRO

Von Adrian Hartschuh
Der Föderalismus bei den Corona-Regeln führt ins Chaos. Denn wer blickt da noch durch? Welche Sperrstunde gilt wo? Wie viele Menschen dürfen sich wo treffen? In welcher Schule gelten welche Regeln?

Der Flickenteppich verunsichert die Bevölkerung und führt dazu, dass sie die notwendigen Maßnahmen gegen die Seuche nicht mehr akzeptiert. Was in Flensburg falsch ist, kann in Mainz nicht richtig sein. In Berlin gelten auch keine anderen Verkehrsregeln als in Hessen, obwohl dort relativ gesehen deutlich weniger Unfälle passieren. Die Corona-Kleinstaaterei mag zu Beginn der Pandemie noch verständlich gewesen sein. Wir wussten damals zu wenig darüber, wie sich das Virus ausbreitet. Aber inzwischen ist Corona in ganz Deutschland angekommen. Also brauchen wir auch einheitliche Regeln.

Die Entscheidungen der Ministerpräsidentenrunde mit der Kanzlerin sind übrigens verfassungspolitisch zumindest fragwürdig. Die Schaltkonferenzen wirken wie das Politbüro in der Sowjetunion. „Was wir brauchen, ist eine grundsätzliche Diskussion über eine grundlegende Veränderung unserer gesellschaftlichen Bedingungen. Und da ist der Ort der Bundestag“, sagte der Berliner Verfassungsrechtler Ulrich Battis kürzlich in der ARD. Was es dagegen gar nicht brauche, seien „irgendwelche Videokonferenzen von Ministerpräsidenten und der Bundeskanzlerin, die als solche ja überhaupt keine Institution sind, die irgendwie legitimiert ist“. Am Ende wird in dieser Sache wohl das Bundesverfassungsgericht entscheiden müssen.

Es ist unerträglich, wie die Ministerpräsidenten reflexartig Wahlkampf betreiben. Ein Jahr vor der Bundestagswahl verlieren die Verantwortlichen ganz offenbar die Nerven. Da präsentiert sich Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) als Deutschlands Corona-Sheriff, obwohl seine Bilanz in Bayern durchaus bescheiden ist. In Sachsen will Michael Kretschmer (CDU) von schärferen Regeln nichts wissen – offensichtlich aus Angst, die in seinem Bundesland ohnehin starke AfD noch stärker zu machen. Und Manuela Schwesig (SPD) kann an keiner Kamera vorbeigehen, ohne mit den bislang vergleichsweise niedrigen Infektionszahlen in Mecklenburg-Vorpommern zu prahlen.

Heraus kommt dabei nur eines: Verwirrung. So wie aktuell auch in Rheinland-Pfalz, wo Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) noch am Freitag angekündigt hatte, ein Beherbergungsverbot für Touristen aus innerdeutschen Risikogebieten anzuwenden. Nach massiver Kritik hat sie das Vorhaben schon drei Tage später wieder gestoppt. Sie sei noch nie „Fan des Beherbergungsverbots“ gewesen, hieß es plötzlich. Ach wirklich, Frau Dreyer?

All das zeigt doch: Es ist dringend Zeit zum Umsteuern. In Corona-Fragen muss der Bundestag entscheiden, nicht der, der am lautesten schreit.

 

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CONTRA

Von Hartmut Rodenwoldt
„Flickenteppich“, „Rückfall in die Kleinstaaterei“ – das sind zwei dieser Killerphrasen, die zwar ausdrucksstark, aber für sich genommen argumentarm sind.

Die Realität ist konkret. Widmen wir uns also dem konkreten Fall „Beherbergungsverbot“. Das haben Bund und Länder vergangene Woche beschlossen. Es weiß zwar niemand, ob Reisende aus innerdeutschen Risikogebieten in nennenswertem Umfang zu steigenden Infektionszahlen beitragen. Und wer die finanziellen Verluste von Hotels und deren Mitarbeiter auffangen soll, wird gar nicht diskutiert. Egal. Hauptsache 16 Bundesländer laufen im Gleichschritt, marsch! Dass die Richtung für alle möglicherweise falsch ist, kann doch – Obacht Ironie! – nicht so schlimm sein, oder? So stellen wir uns gute Corona-Politik vor.

Daher: Es kommt nicht auf einheitliche Regeln an, sondern auf gute und regional hilfreiche.

Manche Ministerpräsidenten sind putzig. Laut und vernehmlich rufen sie nach Einheitlichkeit. In Wahrheit aber meinen sie damit, dass andere Länderchefs ihren Vorstellungen zu folgen haben. Der Bayer Markus Söder (CSU) ist so einer. Indes: Warum sollte Manuela Schwesig (SPD) den Vorstellungen des Kollegen Söder folgen? In Mecklenburg-Vorpommern ist die Corona-Lage völlig anders.

Das Bundesland an der Ostsee hat schon in der Vergangenheit vieles anders und regional abgestimmt geregelt. Nicht zu seinem Nachteil: Es hat die Pandemie deutlich besser im Griff als Bayern. Im Übrigen: Manche Regel, die aufgrund des Pandemiegeschehens für Nordrhein-Westfalen angemessen erscheint, wäre für das deutlich weniger gebeutelte Sachsen-Anhalt plausibel kaum zu erklären und unverhältnismäßig. Sie wäre vielleicht sogar verfassungswidrig.

Daher: Durchgetaktet einheitliche Regelungen werden die Länderchefs allen Bekundungen zum Trotz nicht hinbekommen. Manche wären vermutlich juristisch anfechtbar.

Noch so ein Argument: „Ein Flickenteppich an Regeln mindert die Akzeptanz der Gebote.“ Das mag in dem einen oder anderen Fall zutreffen. Aber Hand aufs Herz: Wie plausibel ist, dass es ein Ludwigshafener Regelsünder mit Maskenpflicht, Feierabstinenz und Co. deshalb nicht so genau nimmt, weil es in Berlin andere Regeln gibt als in Ludwigshafen? Das würde im Umkehrschluss bedeuten: Der Ludwigshafener Regelsünder würde alle Gebote einhalten, wenn überall die gleichen Regeln gelten. Wer glaubt denn an diesen Weihnachtsmann in Osterhasen-Gewand?

Daher: Menschen halten Regeln ein, wenn sie von deren Richtigkeit überzeugt sind oder wenn die Nichtbeachtung spürbar sanktioniert wird.

Es ist folglich richtig, Regeln zu formulieren, die auf das Infektionsgeschehen vor Ort passgenau abgestimmt sind. Und da kann es vorkommen, dass die Gebote deutschlandweit unterschiedlich sind. Na und?

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